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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Sander
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zunickte. «Ich bin mit dem Fahrrad zum Dienst geradelt», begann er mit einer überraschend tiefen Stimme. «Wie immer, wenn es nicht regnet. Ich bin hoch auf die Station und habe mich umgezogen.»
    «Haben Sie in die Kreißsäle geschaut? War noch jemand da?»
    «In Kreißsaal  1 hatte wohl gerade eine Frau entbunden, Hanna war dort und hat aufgeräumt. Und Brigitte ist mir auf dem Flur begegnet, sie war auf dem Weg in den Gymnastikraum, sie macht ja die Geburtsvorbereitung am Donnerstagnachmittag. Sonst habe ich niemanden gesehen. Ich bin in den Aufenthaltsraum, habe mich umgezogen und Tee gekocht.»
    «Wie lange hat das gedauert?»
    «Keine Ahnung.» Grothes rechtes Auge zuckte, während er sprach. «Zehn Minuten vielleicht.»
    «Haben Sie in der Zeit etwas gehört?»
    «Natürlich. In einem Krankenhaus ist es nie völlig still. Türen, Schritte, Stimmen. Klar habe ich was gehört.» Er sah Stadler trotzig an.
    «Und weiter?»
    «Irgendwann bin ich in den Kreißsaal  2 gegangen, weil ich sehen wollte, ob alles bereitliegt und da …»
    «Ja?»
    «Da war sie.» Wieder zuckte sein Auge. «Die Frau. Sie wissen schon.»
    Liz beugte sich vor. «Haben Sie sich die Tote näher angesehen?»
    Grothe schüttelte so heftig den Kopf, dass sein Zopf hin und her flog. «Nur von der Tür aus.»
    «Aber Sie haben gute Augen», beharrte Liz. «Sie haben gesehen, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Ich meine, abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass jemand sie ermordet hat. Ihnen ist etwas in ihrer Bauchhöhle aufgefallen.»
    Grothe musterte seine Finger. Liz bemerkte, dass die Nägel abgekaut waren. «Sie hatte keine Gebärmutter.»
    «Sie sind ein aufmerksamer Beobachter.»
    «War doch nicht schwer zu erkennen», wiegelte der Mann ab. Doch Liz bemerkte, dass ihm das Kompliment schmeichelte. «Sie war halb ausgeweidet. Da musste es ja auffallen.»
    «Ja. Aber Sie haben auch sofort gesehen, dass es sich nicht einfach um eine Frau handelt, der man die Gebärmutter operativ entfernt hatte.»
    Grothe wurde rot. «Na ja. Das gehört schließlich zu meiner Ausbildung.»
    «Ich bin dennoch beeindruckt.» Liz spürte, wie Stadler neben ihr unruhig wurde.
    «Eigentlich wollte ich Medizin studieren», erzählte Grothe. «Aber mein Abi-Durchschnitt hat nicht gereicht. Hierzulande spielen menschliche Qualitäten ja keine Rolle, es geht immer nur um Leistung. Und um Gewinn.
Wer Geld liebt, wird Geldes nimmer satt; und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben. Das ist auch eitel.
»
    Liz horchte auf. Bisher hatte der Mann ganz vernünftig geklungen. Doch nun blitzte plötzlich etwas von seinem verzerrten Weltbild auf, die Fassade bröckelte.
    Der Anwalt beugte sich vor und fixierte sie. «Könnten Sie endlich mal auf den Punkt kommen? Wir haben uns doch nicht hier zusammengesetzt, damit Sie die Beobachtungsgabe meines Mandanten loben können.»
    Liz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. «Sie irren sich. Die Beobachtungsgabe von Herrn Grothe ist von immenser Bedeutung für uns. Er ist schließlich ein wichtiger Zeuge.» Sie wandte sich wieder Grothe zu. «Sie sind ein sehr religiöser Mensch, nicht wahr?»
    «Ich glaube an Gott», antwortete er pampig. «Das ist ja wohl nicht verboten?» Er beugte sich vor.
«Aber die Gottlosen sind wie ein ungestümes Meer, das nicht still sein kann, und dessen Wellen Kot und Unflat auswerfen.»
    «Und Sie halten nichts davon, an der Schöpfung herumzupfuschen?»
    «
Groß sind die Werke des Herrn; wer ihrer achtet, der hat eitel Lust daran.
Die Welt, die Gott erschaffen hat, ist perfekt. Wir Menschen haben nicht das Recht, in die Natur einzugreifen. Deshalb hat die Gottesmutter mich ja auch aufgefordert, die Menschheit zu verwarnen.» Grothe verschränkte die Arme, löste sie aber sofort wieder und wippte mit dem rechten Fuß auf und ab. Seine Augen blickten unstet hin und her.
    Liz tauschte einen Blick mit Stadler, der sofort übernahm. «Was geschah, nachdem Sie die Leiche entdeckt hatten?»
    Grothe sah zu seinem Anwalt, schlug die Beine übereinander. Auch in dieser Position hielt er seinen Fuß nicht still. «Ich habe das Kreuz geschlagen und ein Gebet für das Seelenheil dieses armen verirrten Menschen zur Heiligen Jungfrau gesprochen. Dann bin ich raus aus dem Kreißsaal. Auf dem Flur habe ich die Hanna getroffen. Ich habe ihr erzählt, was ich gesehen habe. Sie hat einen kurzen Blick in den Kreißsaal geworfen, weil sie es nicht glauben konnte, und hätte beinahe alles vollgekotzt.

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