Schwesterlein, komm stirb mit mir
gibt Neuigkeiten.»
Mittwoch, 30. Oktober, 14:26 Uhr
«Schön, dass Sie da sind.» Georg Stadler reichte Liz die Hand. Seine Freundlichkeit wirkte bemüht. Er sah frustriert aus. «Kommen Sie bitte mit.»
Schweigend führte er Liz in sein Büro und bot ihr einen Stuhl an, bevor er sich selbst hinter dem Schreibtisch niederließ. Birgit Clarenbergs Platz war verwaist, der Bildschirm ihres Computers dunkel.
«Heute ganz allein?», fragte Liz, die das Schweigen nicht länger aushielt.
«Birgit hat etwas zu erledigen.» Seine Worte klangen, als habe er eigentlich sagen wollen: «Fragen Sie nicht nach Dingen, die Sie nichts angehen.»
Liz schwieg betroffen.
Stadler rieb sich die Augen. «Entschuldigen Sie. Aber es läuft gerade nicht so rund. Wir haben viel zu wenig Leute für all die Spuren, denen wir nachgehen müssen. Und eine Kollegin …» Er winkte ab. «Das führt jetzt zu weit.»
«Was haben Sie denn für Neuigkeiten?», fragte Liz, um das Thema zu wechseln. Den Funken Neugier, den Stadler mit seiner Andeutung in ihr entfacht hatte, unterdrückte sie. Obwohl sie zu gern gewusst hätte, welche Kollegin es geschafft hatte, Stadler derartig unter die Haut zu gehen. Und vor allem wie.
«Leider noch nichts über Jan Schneider», antwortete Stadler und lächelte entschuldigend. «Es geht um etwas anderes. Ich wüsste gern Ihre Meinung zu dem Verdächtigen, den wir festgenommen haben.»
Liz fiel es schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie wollte nichts mehr von den Serienmorden wissen, denn sie vermittelten ihr das Gefühl, versagt zu haben. Nach dem sensationellen Erfolg ihrer Dissertation, mit der sie einen bis dahin unbemerkt mordenden Serientäter überführt hatte, schmeckte ihre erste echte Zusammenarbeit mit der Polizei schal. Auch wenn sie einige nützliche Hinweise hatte geben können – der große Coup war ausgeblieben.
«Ich verstehe nicht ganz», sagte sie zögernd.
«Die Situation hat sich geändert. Es kann sein, dass wir ihn laufenlassen müssen.»
Ein heißer Schreck durchfuhr Liz. Das Täterprofil! Hatte sie es an Grothe angepasst? Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, aber hatte sie es getan? Liz überlegte fieberhaft. Nein, je länger sie darüber nachdachte, desto mehr war sie überzeugt, dass sie der Versuchung widerstanden hatte.
«Was ist los?», fragte Stadler besorgt. «Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen.»
Liz fing sich wieder. «Ich bin nur überrascht. Warum müssen Sie Grothe laufenlassen? Ich dachte, er hätte gestanden?»
Stadler lehnte sich im Stuhl zurück. «Er hat das Geständnis zurückgenommen, nachdem er sich mit seinem Anwalt beraten hat. Er streitet ab, etwas mit den Morden zu tun zu haben. Wir hätten ihn zu sehr unter Druck gesetzt, deshalb hätte er gestanden.» Er legte die Hände zusammen. «Wir haben ihn nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst, das stimmt. Aber wir haben bestimmt kein Geständnis aus ihm herausgepresst. Im Gegenteil, er schien ganz begierig darauf, uns alles haarklein zu erzählen.»
Liz nickte nachdenklich. «Und der Brief?»
«Den hat er geschrieben. Er sagt, er hätte eine Erscheinung gehabt, die Heilige Mutter Gottes habe ihm die Worte diktiert.» Stadler verzog den Mund, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
«Aha.»
«Ich werde nicht schlau aus dem Kerl. Entweder ist er ein harmloser Spinner oder ein besonders durchtriebener Mörder. Ich werde ihn noch einmal befragen, dann muss ich ihn laufenlassen. Wir haben nichts gegen ihn in der Hand.»
«Und ich soll dabei sein?»
«Ja, bitte.»
«Also gut.» Ein neues Gefühl machte sich in Liz breit. Neugier. Jagdfieber.
Sie machten sich auf den Weg ins Vernehmungszimmer, wo der Beschuldigte und sein Anwalt bereits warteten. Jonathan Grothe trug keine Jogginghose mehr, sondern eine Jeans, und das T-Shirt war heute schwarz. Sein Anwalt war klein, schmal gebaut und schlecht rasiert. Misstrauisch beäugte er Liz über seine Lesebrille hinweg, bevor er sich neben seinen Klienten setzte.
«Sie wissen, dass dieses Gespräch absolut freiwillig ist», betonte er, kaum dass sie Platz genommen hatten. «Mein Mandant kommt Ihnen damit sehr entgegen.»
«Ich weiß», erwiderte Stadler. «Und ich bin ihm dankbar dafür.» Er wandte sich an Grothe. «Bitte erzählen Sie uns noch einmal, was am vergangenen Donnerstag geschehen ist, nachdem Sie Ihren Dienst angetreten haben.»
Grothe hob kurz den Kopf, sah erst Liz an, dann Stadler und zuletzt seinen Anwalt, der ihm
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