Schwesterlein, komm stirb mit mir
bisher sagen die Kollegen in Husum, dass Ziegler an einem Herzinfarkt starb. Selbst wenn sich herausstellt, dass es Mord war: Aus welchem Grund sollte Jan Schneider Ihren Eltern etwas antun wollen? Sie haben doch nichts mit seiner Verurteilung zu tun.»
Liz senkte den Kopf. Sie schien mit sich zu ringen.
«Gibt es etwas, das ich wissen sollte, Liz?» Er rückte näher an sie heran, so nah, dass er den Duft ihrer Haare wahrnahm.
Sie erwiderte nichts.
«Ist Ihnen in letzter Zeit etwas aufgefallen?», fragte er weiter. «Jemand, der Sie beobachtet? Ihnen nachstellt?»
Ihr Kopf schoss hoch, ihr Gesicht war ganz dicht vor seinem. «Wie kommen Sie darauf?»
«Ein Mann, ein paar Jahre älter als Sie», fuhr er statt einer Antwort fort. «Dunkle Haare, schlank, unauffällige Erscheinung.»
Sie riss die Augen auf. «Wie – wie kommen Sie darauf?», flüsterte sie.
«Es stimmt also?»
«Da ist ein Mann», sagte sie mit tonloser Stimme. «Am Montag stand er auf der Straße und starrte zu meinem Fenster hoch. Meine Freundin Deborah hat ihn bemerkt. Und als ich heute Morgen nach Hannover aufgebrochen bin, habe ich ihn wieder gesehen.»
Stadler berührte sie an der Schulter. «Könnten Sie ihn beschreiben?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht einmal, ob es in beiden Fällen derselbe Mann war. Ich habe ihn nicht richtig erkennen können. Ich glaube nicht, dass mich wirklich jemand beobachtet. Es ist wahrscheinlich nur ein Gefühl.»
«Es ist mehr als ein Gefühl», erklärte Stadler, ohne seine Hand wegzunehmen. «Wir haben auf Ruben Kellers Notebook die Anschrift dieses mysteriösen Jan Hendricks gefunden. Er wohnt zwei Häuser neben Ihnen.»
«Nein», flüsterte sie entsetzt.
«Können Sie für ein paar Tage zu einer Freundin ziehen?», fragte er. Seine Hand lag jetzt ganz selbstverständlich auf ihrer Schulter. «So lange, bis wir den Kerl gefunden haben?»
«Meine Freundin wohnt in München.» Tränen liefen jetzt ungehemmt über ihre Wangen, doch diesmal wischte sie sie nicht weg.
Stadler nahm sie in den Arm. «Dann finden wir eine andere Lösung. Heute Nacht bleiben Sie erst mal hier.»
Freitag, 1. November, 11:13 Uhr
Liz erwachte vom Schreien ihres Handys. Verschlafen tastete sie nach dem Nachttisch, doch da war keiner. Erschrocken fuhr sie hoch. Ein unbekanntes Zimmer. Regale mit CD s, ein flacher Fernsehbildschirm an der Wand, eine riesige Fensterfront. Georg Stadlers Sofa.
Entsetzt blickte Liz an sich herunter. Sie war vollständig bekleidet und mit einer Wolldecke zugedeckt. Erleichtert atmete sie auf.
Wieder stieß das Handy einen gellenden Schrei aus.
Suchend schaute Liz sich um. Neben dem Sofa standen ihre Stiefel und ihre Handtasche. Der Schrei war verklungen. Liz fischte das Telefon aus der Tasche und blickte auf das Display. Viertel nach elf. Verdammt! Kriminaloberkommissar Heinz Notebüll erwartete sie auf dem Präsidium in Hannover, und sie lag auf dem Sofa von Kriminalhauptkommissar Georg Stadler in Düsseldorf. Es gab definitiv zu viele Polizisten in ihrem Leben.
Liz erstarrte, als die Erinnerung an den gestrigen Tag über sie hereinbrach. Ihre Mutter war tot. Erstochen. Und ihr Vater lag im Koma. Ihre Hand zitterte leicht, als sie die Nummer des Krankenhauses in Hannover wählte.
Ihrem Vater ging es gut. Wenn sich sein Zustand weiterhin stabilisierte, würden sie ihn im Laufe des Tages aus dem künstlichen Koma holen.
Liz bedankte sich und rief Notebüll an. «Sie warten sicherlich auf mich. Ich bin auf dem Weg, aber es kann noch dauern.»
«Stau auf der A 2 ?», kam es aufgeräumt zurück. «Lassen Sie sich Zeit. Ich bin in meinem Büro.» Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch er schwieg.
Liz stellte sich vor, wie ihm ein «Fahren Sie vorsichtig» auf der Zunge lag, das er mühsam hinunterwürgte, weil es ihm unpassend erschien. Sie drückte ihn weg, ohne sich zu verabschieden. Bloß kein Mitleid, kein einfühlsames Fragen danach, wie es ihr ging. Sie stand an der Klippe, ein falsches Wort und sie würde wieder in Tränen ausbrechen.
Als Nächstes versuchte Liz, Deborah auf ihrer Festnetznummer zu erreichen, doch sie ging nicht ran. Liz war enttäuscht und zugleich erleichtert. Deborah hätte sie nicht einfach wegdrücken können, wenn sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Sie fragte sich, wo ihre Freundin steckte. War es möglich, dass sie noch nicht zurück in München war? Dass sie bei dem unwiderstehlichen Typen aus dem Supermarkt versackt war?
Liz
Weitere Kostenlose Bücher