Schwesterlein, komm stirb mit mir
darin, aus dem Overkill an Zeugenaussagen, forensischen Berichten und Gutachten die entscheidenden Informationen herauszufiltern. Doch das war ihnen noch nicht gelungen. Auch was den Mord an Ruben Keller anging, traten sie auf der Stelle. Immerhin hatten sie den Kreis der Verdächtigen erheblich eingegrenzt. Vier der in Frage kommenden Fahrzeuge hatten sie noch nicht in Augenschein nehmen können, eins davon musste der Wagen sein, mit dem der Student überfahren worden war. Es sei denn, der Fahrer kam gar nicht aus dem Großraum Düsseldorf.
Dann war da noch der mysteriöse Jan Schneider oder Jan Hendricks, der vor sechzehn Jahren das Feuer in der JVA gelegt und nun vielleicht Ruben Keller ermordet hatte. Die Ermittlungsakte von damals könnte vermutlich weiterhelfen, doch aus unerfindlichen Gründen hielten die Kollegen in Bonn sie zurück. Was Stadlers Neugier nur schürte.
Als Sahnehäubchen obendrauf gab es noch das spurlose Verschwinden von Linda Franke. Stadler wurde das Gefühl nicht los, dass die Kollegin ihm eins auswischen wollte. Und das machte ihn wütend.
Doch an all das hatte er heute Abend nicht denken wollen. Gerade hatte er geduscht und sich umgezogen. Nach dem zweiten Bier hatte er eigentlich vor, rauszugehen und sich den Abend auf angenehme Weise zu vertreiben. Mit einer Frau, die unkompliziert war und auch nur ihren Spaß wollte. Höchstwahrscheinlich konnte er sich das jetzt abschminken.
Stadler griff nach dem Handy. Elisabeth Montario. Nicht gerade die Gesellschaft, die er sich vorgestellt hatte. Aber dennoch reizvoll.
«Ja, hallo.»
«Herr Stadler?» Ihre Stimme klang dünn, als wäre sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. «Entschuldigen Sie die Störung. Ich …»
«Was ist denn los?» Er war plötzlich alarmiert.
«Ich sitze hier im Auto vor meinem Haus, aber ich …»
Er dachte an den mysteriösen Jan Hendricks, der nur zwei Häuser neben Liz Montario wohnte. «Stimmt etwas nicht? Geht es Ihnen gut?»
«Nein, nichts ist gut.» Er war jetzt sicher, dass sie weinte. «Ich komme gerade aus Hannover zurück. Meine Mutter – ich habe versucht, Deb zu erreichen, doch sie geht nicht ans Telefon. Ich habe ja auch noch ihr Handy. Aber ich kann jetzt nicht allein sein. Ich …»
«Bleiben Sie genau dort, wo Sie sind. Ich bin in einer Viertelstunde bei Ihnen.» Stadler hatte zwar nicht einmal die Hälfte von dem verstanden, was Liz Montario gesagt hatte, jedoch genug, um zu begreifen, dass es ihr beschissen ging.
Er rannte aus der Wohnung, ohne das Gespräch zu beenden. «Haben Sie verstanden, Liz? Bleiben Sie im Auto, ich bin auf dem Weg zu Ihnen.»
«Aber …», kam es schwach zurück.
«Keine Widerrede.» Stadler klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und schloss seinen Wagen auf. «Ich beende jetzt das Gespräch, damit ich fahren kann. Okay? Ich bin gleich bei Ihnen.»
Stadler warf das Telefon auf den Beifahrersitz und startete den Motor. Röhrend erwachte der Ford Mustang zum Leben. Auf den Straßen war nicht mehr viel los, und er brauchte keine zehn Minuten, bis er in Benrath war.
Liz Montario saß in ihrem Golf, den Kopf auf das Lenkrad gelegt. Der Anblick erschreckte ihn, für einen Moment glaubte er, er komme zu spät, bis er sah, dass ihre Schultern zuckten.
Vorsichtig klopfte er an die Scheibe. «Liz?»
Sie hob den Blick, ihr Gesicht war tränennass. Er öffnete die Tür und half ihr heraus. Ohne ein Wort zu wechseln, bugsierte er sie in seinen Wagen und fuhr zurück nach Derendorf.
Zu seiner Überraschung wollte Liz keinen Tee oder Wein, sondern ebenfalls ein Bier. Sie setzten sich auf das Ledersofa im Wohnzimmer.
«Was ist passiert?», fragte Stadler, nachdem sie eine Weile schweigend getrunken hatten.
Liz starrte in ihre leere Flasche. «Bei meinen Eltern wurde eingebrochen. Der Einbrecher hat sie angegriffen. Mein Vater ist schwerverletzt, meine Mutter ist tot.» Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
«Ach du Scheiße.» Darauf war er nicht gefasst gewesen.
Liz hob den Blick. «Ich verstehe das nicht. Mein Vater und meine Mutter haben sich dem Täter in den Weg gestellt. Das passt gar nicht zu ihnen. Der Mann hat angeblich schon eine ganze Serie von Einbrüchen begangen, aber nie Gewalt angewendet. Diesmal war es anders. Er hat sie mit einem Messer angegriffen.»
«Mit einem Messer?» Eine ungewöhnliche Waffe für einen Einbrecher. So jemand schlug einen Menschen, der ihm in die Quere kam, eher nieder. «Hat der Täter das Messer vor Ort
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