Schwesterlein, komm stirb mit mir
Wohnzimmer geworfen. Außer dem vielen Blut habe ich nichts gesehen», antwortete sie zögernd.
«Haben Sie eine Idee, was passiert sein könnte?»
«Nein.»
Degenhard strich sich über den Bart, sein Kollege unterbrach kurz sein Spiel mit der Zigarettenpackung. Beide sahen sie erwartungsvoll an. Was wollten diese Typen von ihr? Was für eine Art Zeugenbefragung sollte das sein? Stand sie etwa unter Verdacht, und die Beamten wollten ihr eine letzte Chance geben, von sich aus die Tat zu gestehen?
«Wieso sollte ich eine Idee haben, was passiert ist?», fragte Liz aufgebracht. «Sie sind die Experten.»
«Na, Sie doch wohl auch.» Patrick Stürmer warf das Päckchen auf den Tisch. «Sie sind doch die berühmte Profilerin, die die Kanalmorde aufgeklärt hat.»
Liz verschränkte die Arme. Ging es hier etwa um Kompetenzgerangel? Wollten die beiden Polizisten ihr klarmachen, wer die Ermittlungen leitete und was sie von Psychologinnen hielten, die sich einmischten? «Ich fürchte, ich verstehe noch immer nicht, worauf Sie hinauswollen.»
«Dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge», sagte Degenhard. «Und entschuldigen Sie bitte den ruppigen Tonfall meines Kollegen. Er ist verständlicherweise verärgert. Wir schätzen es nicht, wenn man uns die Wahrheit vorenthält. Das erschwert unsere Arbeit ungemein.»
Liz kniff die Augen zusammen, doch sie sagte nichts.
«Wir haben im Haus Ihrer Eltern eine Reihe Unterlagen gefunden», erklärte Degenhard.
Mit einem Mal begriff Liz.
«Daraus geht hervor, dass Sie vor Jahren den Familiennamen geändert haben», sprach Degenhard weiter. «Ihre Familie hieß ursprünglich Vermeeren. Bis Ihr großer Bruder drei junge Mädchen ermordete. Ist das richtig?»
«Das hat ja wohl nichts mit dem Einbruch zu tun», gab Liz zurück. Es fiel ihr schwer, die Fassung zu bewahren. Sie hatte weder die Verbrechen ihres Bruders noch die Gewalttat in ihrem Elternhaus begangen, im Gegenteil, sie hatte unter beidem zu leiden. Und trotzdem behandelten diese Männer sie, als trüge sie die Verantwortung dafür. Liz rieb sich die Schläfen. Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Einer der Kanalmorde war in die Zuständigkeit der Kripo Hannover gefallen. Höchstwahrscheinlich hatten Jens Degenhard und Patrick Stürmer der Moko angehört, die sie durch ihre Doktorarbeit öffentlich bloßgestellt hatte. Liz stöhnte innerlich auf.
«Was für die Ermittlungen relevant ist, entscheiden wir lieber selbst», sagte Degenhard. «Über die Vorgeschichte Ihrer Familie hätten Sie uns gestern direkt informieren müssen.»
«Ich dachte, Sie suchen einen Einbrecher? Wie hätte ein Einbrecher wissen sollen, wer meine Eltern sind? Und warum sollte es ihn interessieren?»
«Sie haben den Tatort gesehen, Frau Montario. Sah das für Sie nach einem aus dem Ruder gelaufenen Einbruch aus?» Degenhard sah sie plötzlich sehr ernst an.
«Aber …» Liz’ Herz krampfte sich zusammen. Sie biss sich in die Faust, um nicht in Tränen auszubrechen. Der Kommissar hatte genau das ausgesprochen, was sie am Tag zuvor gedacht hatte.
«Aber
was
?», hakte Stürmer nach.
Liz vergrub das Gesicht in den Händen. Wenn es nicht darum ginge, bei der Aufklärung des Mordes an ihrer Mutter zu helfen, hätte sie auf der Stelle den Raum verlassen. Liz hörte, wie Stürmer etwas Unverständliches murmelte und Degenhard ihn tuschelnd zurechtwies.
Liz nahm die Hände vom Gesicht. «Was wollen Sie von mir?»
Degenhard beugte sich vor. «Ich weiß, wie schwer das für Sie ist», sagte er mit überraschender Anteilnahme. «Ihre Mutter ist tot, Ihr Vater schwerverletzt. Aber angesichts der Art, wie der Angriff stattgefunden hat, müssen wir in Erwägung ziehen, dass es sich um einen gezielten Mordanschlag handelte, den Ihr Vater nur zufällig überlebt hat.»
Degenhards Worte wirkten wie ein Schlag in die Magengrube. «Sie meinen …»
«Ich halte es für sehr wahrscheinlich, ja. Deshalb muss ich wissen, ob Ihre Eltern in irgendeiner Form bedroht wurden. Bekamen Sie anonyme Anrufe? Oder Briefe? Ist ihnen jemand aufgefallen, der das Haus beobachtet hat?»
«Ich weiß nicht», antwortete Liz kleinlaut. «Meine Mutter hat immer und überall meinen Bruder gesehen, aber –»
«Ihren Bruder?», fiel Stürmer ihr ins Wort. «Aber der ist doch tot.»
«Sie hat es sich ja auch nur eingebildet. Letzte Woche noch hat sie mich deswegen angerufen. Angeblich stand er im Garten.»
«Was genau hat Ihre Mutter über den Mann gesagt, den sie im Garten gesehen
Weitere Kostenlose Bücher