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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Sander
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schwanger war. Fünf Tage vor der Hochzeit bekam sie das Ergebnis. Wir wussten beide, dass ich nicht der Vater ihres Kindes sein konnte. Aber wir hatten niemandem erzählt, was deiner Mutter zugestoßen war. Dabei beließen wir es. Hendrik wurde geboren, und kein Mensch zweifelte auch nur eine Sekunde daran, dass er mein Sohn war. Warum auch? Er schlug halt völlig nach seiner Mutter, hatte ihr italienisches Blut in den Adern.» Ulrich Montario holte keuchend Luft, bevor er weitersprach. «Deine Mutter hat sich alle erdenkliche Mühe gegeben, aber ich glaube, sie hat es nie fertiggebracht, Hendrik zu lieben. Nicht so, wie sie dich geliebt hat. Sie hat ihn verwöhnt, ihn mit Geschenken überhäuft, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Weil der Junge nichts dafür konnte, dass er sie tagtäglich an das Schreckliche erinnerte, das dieser Mann ihr angetan hatte.»
    Liz umklammerte die Hand ihres Vaters. Ihr war schwindelig. Und kalt. «Hat Hendrik je die Wahrheit erfahren?»
    «Ich fürchte, er hat schon früh gespürt, was seine Mutter ihm gegenüber empfunden hat. Und irgendwann muss er es herausgefunden haben. Keine Ahnung, wie. Jedenfalls ließ er keinen Zweifel daran aufkommen, dass er Bescheid wusste. Als wir ihn eines Tages dabei erwischten, wie er Geld aus dem Portemonnaie deiner Mutter nahm, sagte er: ‹Was erwartet ihr denn? Ich bin schlecht. Ich bin die Brut des Bösen. Das solltet ihr doch am allerbesten wissen.› Deine Mutter brach sofort in Tränen aus. Ich habe ihn gefragt, wie er das meine, und er sagte, dass er schon lange von seiner wahren Abstammung wisse. Er sagte noch eine Menge sehr hässliche Dinge, die ich nicht wiederholen möchte.»
    Liz fragte sich, wie es sein konnte, dass sie von alldem nichts mitbekommen hatte. Hätte sie die Spannungen zwischen Hendrik und ihren Eltern nicht spüren müssen? Oder hatte sie die Erinnerung daran verdrängt, so wie sie die Erinnerung an Hendriks gemeine Geburtstagsüberraschung aus ihrem Gedächtnis gelöscht hatte? «Wie hat Hendrik das herausbekommen können?»
    «Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er alte Unterlagen durchsucht. Wir haben die Anzeige bei der Polizei nie weggeworfen, und auch das Schreiben nicht, in dem man uns mitteilte, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Er brauchte also nur noch zu rechnen.»
    «Das muss furchtbar für ihn gewesen sein.»
    «Es war für uns alle furchtbar. Wir haben versucht, Hendrik klarzumachen, dass er trotzdem unser Sohn ist und wir ihn lieben. Aber er wollte nichts davon hören.»
    «Ist das beim Prozess gegen ihn zur Sprache gekommen?», fragte Liz. «Hat sein Verteidiger davon gewusst?»
    «Nein. Wir haben es niemandem erzählt. Es hätte nichts geändert.» Ulrich Montario schloss die Augen. «Ich hätte deine Mutter damals nicht einfach vor der Haustür absetzen dürfen. Ich hätte sie hineinbringen müssen. Das alles ist meine Schuld. Ich habe zugelassen, dass jemand deiner Mutter das antut. Ich habe zugelassen, dass dieser Verbrecher unser Leben zerstört.»
    Plötzlich spürte Liz Zorn in sich aufsteigen. Jahrelang hatte sie sich damit gequält, eine Erklärung zu finden für das Unerklärliche, dabei hätte ihr Vater nur einmal mit ihr zu reden brauchen, und sie hätte zumindest einen Anhaltspunkt gehabt, ein loses Ende, nach dem sie hätte greifen können. «Warum erzählst du mir das erst jetzt, Papa?», fragte sie mit mühsam beherrschter Stimme. «Du hättest mir das damals sagen müssen! Du musst doch gemerkt haben, wie verzweifelt ich nach Antworten gesucht habe!»
    «Du warst doch noch so klein. Wir wollten dich schützen.»
    «Schützen?» Liz lachte bitter auf. «Wovor denn? Meine Kindheit war zu Ende, als Hendrik verhaftet wurde. Du wolltest dich selbst schützen, Papa, nicht mich. Du bist damals in Selbstmitleid versunken, und du tust es heute noch genauso. Wie es mir geht, hat dich nie interessiert!»
    Ulrich Montario fixierte einen Punkt an der Wand. «Es war für uns alle nicht leicht, Kind», verteidigte er sich kaum hörbar.
    «Ja, aber du hättest es in der Hand gehabt, es mir ein wenig leichter zu machen, Papa. Stattdessen musste ich heile Welt spielen und so tun, als hätte ich nie einen Bruder gehabt.»
    Ihr Vater erwiderte nichts. Stattdessen schloss er erneut die Augen. Wenige Minuten später war er eingeschlafen, und Liz war allein mit ihren widerstreitenden Gefühlen. Fassungslos starrte sie ihn an. Wie brachte er es nur fertig, sich immer wieder vor der Auseinandersetzung

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