Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
beleidigend für mich.
    Ich schluckte zerknirscht und fühlte Dankbarkeit in meinem Herzen wallen, allein meiner Selbstbeherrschung gegenüber, mich solcher Abweisung nicht direkt aussetzen zu müssen, die ein Paar auszutragen hat. Und Dankbarkeit diesem Staubknäuel gegenüber, weil er mich auf die Banalität der Sachverhalte zurückgeworfen hatte, in wirkliche Verhältnisse, Zugluft, Staub zu Staub, und alle Menschen sind gleich. Ich. Du. Sie. Und er, dieser auch von mir einst verehrte Hirnforscher.
    Die Wohnungstüre fiel ins Schloss. Das Echo folgte. Schloss. Schloss. Die Stimmen waren verstummt. Ich presste die Fingerkuppen auf die neuralgischen Punkte meiner Schläfen. Der Türknall blitzte durch das Trommelfell in den Nasen-Ohren-Gang und in der Stirnhöhle entlud sich der Knall als Donner. Ich hielt meinen Schädel fest, dann tasteten sich meine Pfoten zur Handtasche fort und schlüpften hinein und suchten nach den Tabletten, die ich für derartige Anfälle bei mir trage.
    Ich hob den Kopf und starrte wieder ins Dunkel. Dann schlich ich mich durch den finsteren Halbstock zur Treppe aufwärts und nahm den prall gefüllten Müllsack mit den Flaschen wahr, der in sich zusammensank und knisterte, als wäre der Müll lebendig, der hier vor der Türe lagerte. Der Müll des Nachbarn vor der Tür im Dunkel verströmte keinen Geruch, während ich das Ohr an der Tür anlegte und eine weibliche Stimme vernahm, die sagte: „Dreh endlich ab.“ Darauf wurde der Wohlklang einer männlichen Erzählstimme immer leiser und erstarb bei den Worten: „Ersaufe nicht im eigenen Antlitz, erkenne dich selbst.“
    Es folgten ein Zirpen und dann Stille. Das Haus umhüllte mich farblos und kalt, mit dunklen Fensterrahmen, eingeschnittenen Milchglasflecken in den Oberlichten, die mich an blinde Augen denken ließen. Im obersten Stock stand ein Spaliergitter offen. Ein blaugrün gestrichenes Faltgitter, wie Vater es im Eissalon verwendet hatte, im Ton von Curaçao-Likör, um die Auslagen zu sichern.
    Das Gitter konnte einen Teil des Flures absperren und den Zugang zur Wohnung am Ende des Gangs verhindern. Doch es stand offen wie ein zur Seite geschobener eiserner Vorhang. Eine Feder auf dem Fensterbrett zog meinen Blick an. Sie lag auf dem Rücken mit durchgebogenem Kiel und die Härchen wogten hin und her wie Tentakeln im Wellengang eines Korallengewächses. An der schwarz lackierten Tür hing ein indianischer Federschmuck. Silbergraue Geierfedern zur Abschreckung böser Geister. Die Federn steckten in einem ledernen, mit türkisen Steinen besetzten Köcher.
    Und dann stand ich vor Maries Tür. Das Türschild aus Messing mit Maries Namen in kursiv schlankem Schriftzug war abmontiert. Bevor ich den Türstock abtastete, die Finger über die Verblendung des Rahmens gleiten ließ auf der Suche nach der Klingel, richtete ich mich entschlossen auf. Ein Rumpeln. Von wo kam es? Ein Quietschen. Jemand verrückte Möbel. Wasser rauschte und eine Therme fauchte auf. Dann schien mir, als riebe jemand Hände aneinander und irgendwo zerknüllte man Papier, etwas klickte, und nicht nur in meinen Ohren, denn schon gleich hörte man wirklich Feuer knistern, das plötzliche Aufflammen und den heulenden Sog der Kamine. Ich spitzte meine Ohren, das ganze Haus fror, und da ging ich in die Knie, weil mir die polierte Messingklappe ins Auge stach, und schob die Fingerspitzen in den Briefschlitz, drückte die Messingklappe hinein, legte das rechte Auge an. Brandgeruch kroch durch das Stiegenhaus über den Gang, nach frischem Feuer und Zeitungsasche. Nichts bewegte sich hinter der Tür. Marie war vielleicht nicht zu Hause. Sie war ein erfolgreiches Mitglied der Gesellschaft, auf meine Kosten natürlich, denn ich hatte mich ganz und gar für ihre Erziehung aufgeopfert. Der geschliffene Steinboden schimmerte glatt und mondbeleuchtet wie ein Grabdeckel. Schon seltsam, in eine Abwesenheit zu glotzen.
    Oh, wie ich diese Spurensuche verabscheute. Aber nachdem ich schon einmal so weit vorgedrungen war, wollte ich weitere Auskunft und konnte nicht anders. Ich klingelte, wartete, klingelte, klingelte. Mir war zum Lachen zumute. Denn die Glocke war tot. Es gibt keinen weiblichen Jagdinstinkt, wird oft gesagt, aber das stimmt nicht, die Frage ist nur: Lockt die Beute oder die Befreiung von ihr? Ich bewies, dass ich dort ins Lot bringen wollte, wo Missverständnisse zu Zerwürfnissen führten, Ordnung ins Chaos bringen, Gerechtigkeit in die blöde Entzweiung. Ich hatte

Weitere Kostenlose Bücher