Schwestern der Angst - Roman
Gefängnis stecken würde, lag auf der Hand. Marie war mein Zuhause und meine Freiheit, wenn ich ihre Fesseln löste, so band ich sie für immer an mich.
Ich setzte Marie meine Sonnenbrille auf, weil ich die vor Entsetzen geweiteten Augen nicht mehr sehen wollte. Dann zog ich das Skalpell aus der Tasche und ritzte die Fesselung Band für Band auf. Zum Schluss zog ich die Socke aus dem Mund. Marie fiel in sich zusammen, als hätte ich den Stöpsel aus einer Luftmatratze herausgezogen. Sie sank zu Boden und legte ihre Hände wimmernd auf den Schoß. Ich verließ das Haus.
Luft umfing mich zärtlich. Ich nahm den Weg in den Wald. Hier tummelten sich die Früchte und Geschenke der Natur. Ich wusste, dass gleich wieder die Trübnis hereinbrechen würde. Ich ging den Weg in den Wald, trat ins Gebüsch, bog Zweige auseinander und drang durch das Dickicht auf eine Lichtung. Sie werden sich jetzt fragen, was weiter geschah? Nichts Besonderes.
VII
Nachdem ich ohne Komplikationen zurück nach Wien gereist war, erwartete ich die Festnahme schon am Flughafen. Doch da war niemand, der mich abholte. Ein Taxi brachte mich nach Hause.
Ich stieg die Treppe hoch. Vielleicht hatte ich nur schlecht geträumt und nichts Übles war passiert. Doch ein Papierstreifen verklebte die Fugen meiner Tür. Die Wohnung war versiegelt. Natürlich war mir das egal, ich sperrte die Tür auf. Der erste Weg führte mich auf die Toilette. Ich entleerte meine Blase, bevor ich auf den Balkon trat. Ich knöpfte den Mantel auf, ließ ihn über die Schultern gleiten und fädelte erst den linken dann den rechten Arm in einer pirouettenartigen Drehung aus den Ärmeln.
Da läutete das Telefon. Ich hob ab. Es war die belgische Airline. Man habe meinen Koffer auf dem Flughafen gefunden, er sei jetzt in Wien und wenn ich zu Hause wäre, würde man ihn gleich vorbeibringen. Ich bedankte mich für den Service. Ich hatte Mühe, meinen Atem rhythmisch und tief zu halten. Eine Marionette kann aus eigener Kraft den Schwerpunkt nicht überwinden. Sie braucht den Spieler. Zumindest der Kopf, und das, was sich in diesem Kopf abspielt, schwebt auf dünnem Hals, und der schmächtige Körper hängt daran wie ein Tau an der Boje, der Kopf ein roter Ballon, der Zopf, die Wirbelsäule entlangkriechend, eine Schlange, so sah ich mich nicht nur, sondern spürte mich als Leibhaftige.
Ich verbrachte viel Zeit vor dem Spiegel. Darin lag ein Hauch Irritation. Wo der Sehnerv den Augapfel trifft, steckt der blinde Fleck. Was vertuschte sich dort?
Jetzt würde ich mir keine Todesarten mehr, sondern Lebensarten ausdenken. Ich hatte mich gelöst von den Verpflichtungen. Ich war so gut wie frei. Ich war nicht mehr im Ausnahmezustand der Einsamkeit. Ich hatte entbunden. Und dafür hatte Robert das Leben lassen müssen. Mir war schwer ums Herz. Der arme Mann.
Der Koffer wurde gebracht.
Es war zwar ein roter Koffer, aber nicht meiner. Ich öffnete ihn trotzdem.
Tüll flutete aus dem Koffer, floss über die Kante, und ich schnappte den Tüll und riss ihn heraus. Ob es ein Brautkleid war, das ich jetzt in Händen hielt, oder das Tanzkleid einer Eisprinzessin, ließ sich schwer sagen. Jedenfalls lagen unter dem Tüll weiße Eislaufschuhe mit silbrig blitzenden Kufen. Ich probierte die Schuhe, sie passten. Ich zog mein Kostüm aus und schlüpfte in das Tüllkleid. Auch das Kleid passte.
Um sich in die Ordnung einer Welt wieder einzugliedern, müsste ich Sühnearbeit leisten, nachvollziehbar machen, was geschehen ist, eine Spur zurückverfolgen. Vielleicht ein Kirchlein erbauen und den Mörtel mit meinen Tränen mischen, um Stein auf Stein zu mauern.
In Handschellen wurde ich durch Gänge in die forensische Psychiatrie geführt. Meine Fußsohlen brannten, als wäre ich über glühende Kohlen gelaufen. Ich war zwar verhaftet worden, aber nur wegen der Züchtigung Maries. Mein Mord an Robert ist bislang unentdeckt. So mache ich auch einmal etwas perfekt.
In Therapien denke ich über Stalking und Abhängigkeit nach, dann über das Betrachten des Leids anderer. Nach den Sitzungen und Verhören werde ich zurück in mein Zimmer gebracht und setze mich an den Schreibtisch. Ich sehe zwischen den Gitterstäben hinunter auf die Gasse, wo hinter den parkenden Autos Passanten nichts von mir wissen. Die Straßenbahn rattert vorbei. Ich habe Marie nicht so verletzt, wie ich dachte. Man hat versucht, mich zu beruhigen. Es gibt also noch immer etwas zu tun.
Und hier sitze ich und zeichne auf, was
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