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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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drückte das zarte Körperchen an mich. Marie roch nach Vanille, Puder und Creme. Sie trug einen flauschigen, blau gestreiften Pyjama. Dieses Design gilt als Klassiker und garantiert anscheinend bis heute Umsatz. Marie nuckelte an ihrem Schnuller und grunzte zufrieden, wenn sie zum Einschlafen meine Stimme hörte. Ganz nah an ihrer süßen, wohlgeformten, anscheinend mütterlicherseits vererbten Form der Ohrmuschel erzählte ich von dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war. Dort lebten nur alte Leute, Omas und Opas mit ihren Enkeln. Die Mütter arbeiteten als Putzfrauen im Ausland. Wir Enkelkinder waren eine kleine elternlose Gesellschaft. Im Bett mit Marie und angesichts der Ruhe, die das Kleinkind im Schlaf verbreitete, empfand ich ein intensives Wohlgefühl, in mir erwachende Liebe für jemand Anvertrauten, als hätte meine Mutter ihren Wahn, ich wäre ihr mobiles Eigentum, durch Marie wieder gutgemacht. Ich war nun auch Besitzer von jemandem.
    Was erwartete sich dieses Baby von einem Mann? Noch dazu einem wie Paul. Er war ein perverses Schwein. Ich musste aufpassen, nicht im Büro auszuflippen. Ich wusste, dass ich unter dem Verlust von Marie sehr litt und dazu neigte, meine Enttäuschung in Wut umzumünzen und diese auf einen Menschen zu übertragen. Vielleicht war Paul nicht der Sündenbock, zu dem ich ihn machte. Ich hatte mich damit abgefunden, Maries Unabhängigkeit zu akzeptieren, doch das war nichts gegen den jetzigen Schmerz, sie an ihn verloren zu haben.
    Ich konnte mich schon ganz gut beherrschen und Impulse zur Kontaktaufnahme weitestgehend unterdrücken. Aber damit war es vorbei, als ich sie in der Zeitung sah. Marie war also wieder aufgetaucht aus meinen Tiefen. Auch wenn ich sie nicht mehr belästigte, meine Gedanken waren ein Gefängnis für mich.
    Die Chefin hatte mir den Auftrag erteilt, ein Kleid für unsere Schauspielerin zu besorgen, ein klassisches Modell, nichts Ausgefallenes. Sie herrschte mich an. Kein Wunder, dass ich nicht wusste, wo mir der Kopf stand, dass ich Fehler machte und der Versuchung nicht widerstehen konnte, meine Schwester aufzuspüren, wenn sie so berühmt war, dass sie mich in der Fachliteratur zu Trickfilmen für pharmazeutische Produkte heimsuchte. Ich fühlte mich schwer wie der Stein, der meiner Schwester vom Herzen gefallen zu sein schien.
    So stand ich also im Kaufhaus und suchte das richtige Kostüm für unsere kleine Darstellerin. Ein blaues Kleid mit weißen Tupfen. Die Kinderabteilung lag im dritten Stock. Die Fenster zeigten Richtung Norden. Die gegenüberliegende Hausfassade war etwas mehr als dreißig Meter entfernt. So nahe durfte ich ihr gar nicht kommen. Wenn ich ans Fenster trat, überschritt ich bereits eine Grenze.
    Ich suchte nach der passenden Kleidergröße für die Darstellerin. Eine Verkäuferin beriet mich, ging mit dem Entwurf der Kostümbildnerin ins Lager, um vergleichbare Modelle zu holen. Sie war jung, aber freundlich.
    Ich lenkte mich ab, suchte in den Körben nach Sonderangeboten und fand ein paar blaue Kleider mit Punkten. Das Fenster war verhängt. Ich fischte weiter in den Stoffen herum. Die Verkäuferin kam wieder und zeigte die Ware aus dem Lager. Ich behauptete, dass dieses Kleid nicht schick wäre, und hielt ihr mein Fundstück hin.
    Das sehe ja aus wie ein Sträflingsgewand, sagte sie.
    Ich war überrascht, Punkte erinnern doch nicht an Gitterstäbe. Und dann erschrak ich. Wie konnte denn das passieren, dass ich plötzlich einen blau gestreiften Pyjama in der Hand hielt und dabei doch das blau getupfte Kleid ausgesucht zu haben glaubte. Ich schüttelte den Kopf und stammelte etwas von schlechtem Licht. Ich vertuschte meine Verwirrung, befühlte den Stoff, prüfte das Material, gab vor, dass ich ja zusätzlich auch einen Pyjama für ein Mädchen suche.
    Der Pyjama sei aber viel zu klein, meinte die Verkäuferin, der sei für ein Baby. Ein Mädchen sei kein Zwerg.
    Die Verkäuferin legte das Modell auf den Haufen Wäsche zurück. Die Etiketten drückten sich durch den weichen Stoff. Der Pyjama war gestreift und mit Rüschen um den Kragen verziert. Wie ein Zeichen aus der Vergangenheit, solange ich nicht endgültig mit ihr abrechne. Unbändige Freude erfüllte mich, als läge Glück in diesem Haufen vor mir. Ich war versucht hinzugreifen, spürte ein Kitzeln in der Hand wie von Seidenpapier, als ich die Rüschen berührte und das Gefühl hatte, Geschenke auszupacken. Mir wurde heiß und übel gleichzeitig, Schwindel befiel mich, und

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