Schwestern der Dunkelheit
Mädchen waren nicht immer benachteiligt. Es gab Zeiten, da waren Männer und Frauen ganz natürlich gleichberechtigt.«
Rosamund fragte nur: »Wann?«
»Nun - zum Beispiel im alten Kreta. Sie waren alle Kinder der Eileithyia, der Großen Göttin, und Jungs und Mädchen taten die gleichen gefährlichen Dinge, wie zum Beispiel Akrobatik auf wilden Bullen. Allerdings ...«Thea hielt inne, weil ihr ein Gedanke gekommen war. »Dann sind die Griechen gekommen und haben sie erobert.«
»U-hu.«
»Aber, ähm« - Thea zermarterte sich das Hirn auf der Suche nach den Ereignissen der menschlichen Geschichte - »nun, die alten Kelten waren in Ordnung - bis die Römer kamen und sie eroberten. Und ... und ...«
Menschliche Geschichte war ein echtes Problem.
»Ich hab’s dir doch gesagt«, stellte Rosamund voller Bitterkeit fest. »Es läuft immer aufs Gleiche raus. Und jetzt geh weg.«
»Hm ...«Thea zögerte.
Es war ihre Aufregung, die den Ausschlag gab. Das schwindelerregende Gefühl, dass alles auf der Welt richtig war. Es erfüllte sie voller Zuversicht, als sei das Gesetz der Nachtwelt eine Kleinigkeit, an die man sich wenn nötig nicht unbedingt halten musste.
Tu es nicht, flüsterte ein Teil ihres Geistes. Tu es nicht, du wirst es bereuen.
Aber Rosamund fühlte sich so elend. Und der goldene Nebel umgab Thea immer noch und vermittelte ihr das Gefühl, beschützt zu werden. Unverletzbar zu sein. »Hör mal«, begann sie. »Es mag dir vielleicht nicht allzu sehr helfen, aber ich werde dir eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die mich als kleines Mädchen immer getröstet hat. Nur musst du sie geheim halten.«
In Rosamunds braunen Augen flackerte Interesse auf. »Eine wahre Geschichte?«
»Nun - ich kann nicht wirklich sagen, ob sie wahr ist.« Und das wiederum ist wahr - ich kann es nicht. »Aber es ist eine gute Geschichte, und es geht um eine Zeit, da Frauen Anführerinnen waren. Die Geschichte handelt von einem Mädchen namens Hellewise.«»
Kapitel 12
Der Bettrahmen war zwar nicht gerade der bequemste Platz, aber Thea blieb trotzdem darauf sitzen und begann zu erzählen. »Also, dies alles geschah in den Tagen, als es noch Magie gab, okay? Und Hellewise konnte Magie wirken, genau wie die meisten anderen Leute in ihrem Stamm. Sie war die Tochter der Hexenkönigin Hekate ...«
»Sie war eine Hexe?« Roz klang fasziniert.
»Nun - damals nannte man sie noch nicht so. Man nannte sie eine Herdfrau. Und sie sah auch nicht aus wie eine Halloween-Hexe. Sie war wunderschön: hochgewachsen, mit langem gelbem Haar ...«
»Wie du.«
»Hm? Oh.« Thea grinste. »Danke, aber nein. Hellewise war wirklich schön - und sie war auch klug und stark. Und als Hekate starb, wurde Hellewise die zweite Anführerin des Stammes. Die andere Anführerin war ihre Schwester, Maya.«
Jetzt ragte Rosamunds ganzer Kopf über den Rand der Matratze. Sie hörte mit grimmigem, wenn auch skeptischem Interesse zu.
»Also, Maya.« Thea nagte an ihrer Unterlippe. »Nun, Maya war ebenfalls schön: hochgewachsen, aber mit langem schwarzem Haar.«
»Wie dieses Mädchen, das zum Tierarzt kam, um dich zu suchen.«
Thea war für einen Moment verwirrt. Sie hatte ganz vergessen, dass Rosamund Blaise gesehen hatte. »Nun - ähm, vielleicht ein wenig. Wie auch immer, Maya war ebenfalls klug und stark - aber es gefiel ihr nicht, sich die Führung mit Hellewise teilen zu müssen. Sie wollte allein herrschen, und sie wollte noch etwas anderes. Sie wollte ewig leben.«
»Klingt für mich nach einer guten Idee«, brummelte Rosamund.
»Nun ja, da hast du recht, an Unsterblichkeit ist im Grunde nichts auszusetzen. Aber es hängt davon ab, wie viel man dafür zu zahlen bereit ist. Alles klar? Kannst du mir folgen?«
»Nein.«
»Hm ...« Thea geriet ins Stocken. In der Nachtwelt hätte jeder sofort gewusst, wovon sie sprach, selbst wenn er durch irgendeinen ungeheuerlichen Zufall die Geschichte nicht bereits gehört hätte. Aber bei Menschen lag der Fall natürlich anders. »Also, verstehst du, es ging darum, was sie tun musste, um unsterblich zu werden. Das schaffte kein gewöhnlicher Zauber. Sie probierte alle möglichen Dinge aus, und Hellewise half ihr sogar. Schließlich kamen sie dahinter, welche Art von Zauber Unsterblichkeit bewirken würde - aber da verweigerte Hellewise ihre weitere Hilfe.«
»Warum?«
»Weil es zu schrecklich war. Nein, frag mich nicht«, fügte Thea
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