Schwestern der Dunkelheit
»zu der Hexen und Menschen besser miteinander auskamen als jetzt. Ich bin mir sicher, dass jeder, dessen Familienstammbaum weit genug zurückreicht, das weiß.«
Erik sah Thea an, die den Kopf schüttelte und Blaise anschaute.
»Sie meint«, warf Mutter Cybele ein, »dass wir vor langer Zeit menschliche Ehemänner genommen haben. Um die Tatsache auszugleichen, dass es niemals genug männliche Hexen gegeben hat. Das war in jenen Tagen, da es noch den dritten Zirkel gab, den Zirkel der Morgendämmerung. Den, der versucht hat, Menschen Magie zu lehren.«
»Bis die Menschen begannen, uns zu verbrennen«, sagte Belfana, und ihr sommersprossiges Gesicht war ernst unter den Locken ihres dunkelroten Haars.
»Nun, dieser Mensch wird wohl kaum irgendjemanden verbrennen«, erklärte Tante Ursula schneidend. In diesem Moment liebte Thea sie.
»Niemand verlangt, dass die Gesetze geändert werden sollten«, sagte Mutter Cybele und legte ihre rundlichen Finger zusammen. »Wir können nicht zu jenen Tagen zurückkehren, denn wir alle wissen jetzt um die Gefahren, die von Menschen ausgehen. Die Frage ist: Gibt es irgendeine Möglichkeit, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen?«
»Ich wüsste nicht, welche«, erwiderte Rhys langsam. »Nicht, ohne dass wir am Ende alle des Hochverrats angeklagt werden.«
»Es würde wieder genauso sein wie in den Kriegen der Nachtwelt«, fügte Nana Buruku hinzu. »Jede Rasse der Nachtwelt gegen die andere.«
»Ich wünsche ihnen nichts Böses«, meldete Creon sich von seinem Rollstuhl zu Wort, und seine brüchige Stimme war kaum zu hören. »Aber sie können nicht in unserer Welt leben, und sie können nicht in der Menschenwelt leben.«
Und das, dachte Thea, fasst es perfekt zusammen. Es gibt keinen Platz für uns. Nicht so lange einer von uns eine Hexe ist und der andere ein Mensch. Und dann traf sie die Idee wie ein Blitzschlag.
So simpel. Und doch so beängstigend.
Es könnte funktionieren ...
Aber wenn es funktioniert, könnte ich das ertragen?
Würdest du alles opfern?
Alles - auch Gran und Blaise. Dani und Lawai’a und Cousine Celestyn. Onkel Gale, Tante Gerdeth, Tante Ursula ... Selene und Vivienne.
Der Geruch von Kräutern, Lavendel, gemischt mit Rosenblättern. Der Kuss kühler Steine auf der Innenfläche ihrer Hand. Jeder Gesang, jede Beschwörung ... all die Zauber, die sie gelernt hatte. Das Gefühl von Magie, das durch ihre Fingerspitzen floss. Selbst die Erinnerung an Hellewise ...
Hellewise in ihrem weißen Gewand, im dunklen Wald ...
Würdest du alles opfern ... für Frieden?
Für Erik?
Für Erik?
Diesmal war die innere Stimme ihre eigene. Sie sah Erik an und wusste, dass sie ihre Antwort bereits kannte.
Er war so gut, so lieb. Zart und einfühlsam. Klug und mutig und ehrlich und scharfsinnig ... und voller Liebe.
Er liebt mich. Er ist bereit, für mich zu sterben.
Er würde alles opfern.
Erik beobachtete sie, einen besorgten Ausdruck in den grün gesprenkelten Haselnussaugen. Er konnte erkennen, dass etwas in ihr arbeitete.
Thea lächelte ihn an. Und war so stolz darauf zu sehen, dass er selbst jetzt, umringt von Leuten, die ihm wie Gestalten aus einer schrecklichen Legende erscheinen mussten, noch in der Lage war, ihr mit einem schiefen, schwachen Lächeln zu antworten.
»Ich habe eine Idee«, sagte sie zu Gran und dem Inneren Zirkel. »Der Kelch der Lethe.«
Stille folgte. Die Hexen sahen einander an. Gran war erschrocken.
»Nicht nur für ihn«, fuhr Thea fort. »Auch für mich.«
In der Stille des Kreises hörte sie, wie um sie herum nach Atem gerungen wurde.
Gran schloss die Augen.
»Wenn ich genug trinke, würde ich alles vergessen«, mühte Thea sich weiter und richtete das Wort an all die ernsten Gesichter. »Alles über die Nachtwelt. Ich wäre keine Hexe mehr, weil ich mich nicht daran erinnern könnte, wer ich bin.«
»Du würdest zu einer verlorenen Hexe werden«, sagte Aradia. Ihr hübsches Gesicht war ruhig, nicht abgestoßen. »Wie die Hellseher, die nicht um ihr Erbe wissen. Und verlorene Hexen können mit Menschen leben.«
»Und keiner von uns würde sich an die Nachtwelt erinnern«, wiederholte Thea. »Wie könnten wir da irgendwelche Gesetze brechen?«
»Dem Gesetz wäre Genüge getan«, erklärte Aradia.
Erik hielt Theas Hand fester. »Aber ...«
Sie sah ihn an. »Es ist die einzige Möglichkeit, wie wir zusammensein können.«
Er schloss den
Weitere Kostenlose Bücher