Schwestern schenkt der liebe Gott
Eine Menge Leute
stehen herum und blicken in die Höhe. - “Brennt es da?“ — „Nein, denen ist ‘n
Wellensittich weggeflogen!“ — „Quatsch, Frau Günther hat ein Kind bekommen, und
jetzt liegt sie in der Klinik, und keiner weiß, wo die Wohnungsschlüssel sind!“
Mit rabenschwarzem Gewisser,
steht Brüder zwischen ihnen. Er allein weiß die Wahrheit. Neben ihm bleibt ein
Mann in schwarzem Umhangmantel stehen. Er trägt einen weitgeschweiften
Künstlerhut auf dem Kopf und einen Regenschirm in der Hand.
Aufmerksam sieht er zu, wie
Guggi jetzt die Leiter hinaufkrabbelt.
„In meiner Jugend“, sagt der
Mann zu Brüder , „hätte man es unschicklich gefunden,
wenn ein Mädchen vor so vielen Leuten auf eine Leiter gestiegen wäre. Früher
hätte man den Mädchen gesagt, ihnen würde da oben schwindlig werden, und dann
hätten sie sich nicht getraut. Gott sei Dank trauen sie sich heute. Sie lassen
sich nichts mehr weismachen. Sie klettern die höchsten Leitern hinauf und
fallen nicht ‘runter.“
„Das ist meine Schwester“,
bemerkt Brüder.
Guggi steigt oben ins Fenster
hinein, winkt nach unten und sagt den Männern von der Straßenbeleuchtung:
„Schönsten Dank auch!“ Dann ist sie verschwunden.
Der Mann im Umhangmantel tippt
Brüder mit der Schirmkrücke auf die Schulter. „Siehst du, deine Schwester hat
begriffen, wie man es im Leben machen muß. Von hundert Menschen kehren neunzig
um, wenn sie eine Tür verschlossen finden, durch die sie hindurch müssen, und
wissen sich keinen Rat. Das sind die, die immer jemanden brauchen, der ihnen
hilft. Andere versuchen es mit Gewalt und wundern sich, wenn es dann Kleinholz
gibt. Deine Schwester aber krabbelt elegant durchs Fenster, und schon hat sie
erreicht, was sie will. Das merk dir für die Zukunft!“
Damit geht er weiter.
„Wer ist denn das?“ fragt
Klaus.
„Den kennst du nicht?“
antwortet Brüder. „Das ist Professor Katermann!“
Genau in diesem Augenblick
stürzen sich Herr Günther und der Hausmeister mit vereinten Kräften auf die
Wohnungstür. Sie wollen sie mit Gewalt aufbrechen. Doch da öffnet sich die Tür
von innen ganz sanft, und Herr Günther und der Hausmeister fliegen mit Schwung
in den Korridor. Nur gut, daß sie sich gegenseitig festhalten, sonst würden sie
bestimmt lang hinschlagen.
Aber der Stoß, den sie der Tür
geben, ist heftig genug, um Guggi eine dicke Brüsche an die Stirn zu hauen.
Guggi schreit vor Schmerz auf, und Herr Günther und der Hausmeister trösten
sie. Morgen wird sie ein Hörnchen haben, grün und blau gestreift. Tante Käthe
legt ein Stück Eis auf die Beule, dann wird sie nicht so groß.
Herr Günther gibt dem
Hausmeister zwei Mark für seine Hilfe. Der Hausmeister steckt sie ein und
fragt, wann Herr Günther ihm einen neuen Anzug kaufen wird.
Das sei nicht seine, sondern
Herrn Zatterstegs Sache, erwidert Herr Günther gereizt.
Der Hausmeister nimmt seinen
Werkzeugkasten und hängt ihn sich am Lederriemen über die Schulter. Herr
Günther könne sich darauf verlassen, daß er zu einem Anzug käme, erklärt er
seelenruhig. Und im übrigen müsse heute abend das Wasser abgestellt werden,
weil das Hauptrohr im Keller undicht sei.
Guggi bringt den Männern von
der Straßenbeleuchtung eine Schachtel Zigaretten für ihre Freundlichkeit.
Inzwischen liest Herr Günther
den Brief von der Hausverwaltung. Darin steht, daß er den Frieden und die Ruhe
im Neubaublock störe. Und daß man keinem Mieter zumuten könne, Günthers Frösche
aus den Suppenschüsseln zu fischen. Und der Puckl belle zuviel. Und die Kinder
seien zu laut. Man legt Herrn Günther nahe, von sich aus die Kündigung der
Wohnung schriftlich einzureichen. Als besonderes Entgegenkommen will man ihm
gestatten, seine Wohnung, wenn es nicht anders möglich ist, gegen eine andere
zu tauschen, jedoch nur, falls die Hausverwaltung gegen den neuen Mieter nichts
einzuwenden hat. Punkt.
Es ist ein bißchen viel, was
Herrn Günther heute zugemutet wird: Ein Baby, das unangemeldet erscheint. Eine
zugeschlagene Wohnungstür. Ein Brief voller Bosheiten und Verleumdungen. Eine
abgestellte Wasserleitung. Und im Werk ein Motor, der nicht fertig werden will.
Kein Wunder, daß er Brüder gehörig seine Meinung sagt.
Peng, der inzwischen alles
erfahren hat, wartet draußen auf der Treppe schadenfroh, daß Brüder eine gehörige
Tracht Prügel bezieht. Herr Günther hält es jedoch für feige, Kinder zu
verhauen. Er steht auf dem Standpunkt, daß man
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