Schwestern schenkt der liebe Gott
sich an diesem Platz ein kleines
Mädchen breit und tut so, als sei er dort für alle Ewigkeit abgemeldet...
Muß er sich das gefallen
lassen?
Nachdem Regine getrunken hat,
muß sie ein Bäuerchen machen. Aber sie macht nicht nur ein Bäuerchen, sondern
auch einiges andere. Man hört es deutlich, und deshalb muß die Mutter Regines
Windeln wechseln.
Brüder guckt interessiert zu, denn man kann im Leben nie genug lernen.
„Warum hat sie denn eine Binde
um den Bauch?“ fragt er.
Die Mutter wirft die
schmutzigen Windeln in einen Eimer. „An ihrem Nabel“, antwortet sie, „ist seit
der Geburt noch ein Schnürchen. Das geht erst in ein paar Tagen ab. Solange muß
ein Verband darüber sein. Nachher bleibt nur der kleine Nabel zurück.“
„Ach, der Gick!“ sagte Brüder
überrascht. Er hat sich schon oft gewundert, warum man mitten auf dem Bauch so
eine runde Sache hat. Er betrachtet nachdenklich Regines Verband. „Hatte ich
denn auch so ein Schnürchen?“ will er dann wissen, „ja, natürlich. Das haben
alle Menschen einmal gehabt.“
„Warum denn, Mutti?“
Die Mutter wäscht Regine mit lauwarmem
Wasser ab. Dabei erklärt sie: „Lange bevor ein Kind auf die Welt kommt, wohnt
es in seiner Mutter wie ein Zwerg in seiner Höhle. Im Anfang ist es so
winzigklein wie ein Pünktchen auf dem i, dann wie ein Kirschkern, dann wie ein
Apfel, dann wie eine Kokosnuß, bis es schließlich so groß wird wie ein Häschen
im Klee. Aber in seiner Höhle ist es so dunkel, daß es nichts sehen kann, und
darum schläft es die ganze Zeit. Weil es nun immerfort wächst und wächst, muß
es auch essen und trinken. Zu seinem Glück hängt es mit dem Schnürchen ganz
fest mit seiner Mutter zusammen. Und da dieses Schnürchen innen hohl ist wie
ein Strohhalm, fließt all sein Essen und Trinken da hindurch und direkt in
seinen kleinen Bauch. Das Kind lebt fröhlich wie im Schlaraffenland, braucht
nicht zu schlucken und nicht zu kauen und wird doch satt und immer runder, bis
es ihm eines Tages zu eng wird in seiner Höhle. Da reckt es sich und streckt
sich und schlüpft wie ein Küken aus dem Ei. Das Schnürchen nimmt es mit. Aber
nun hängt das Kind nicht mehr mit seiner Mutter zusammen, und deshalb nützt ihm
das Schnürchen auch nichts mehr. Es trocknet ein, und endlich fällt es ab. Nur
der runde Gick auf dem Bauch bleibt zurück.“
„Aber braucht man denn ein
Gick, Mutti?“
„Ja, Brüder, den behält man zur
Erinnerung, daß einem die Mutter das Leben geschenkt hat. Und daß die Mutter
ihr Kind bei sich getragen und gehütet hat, bis es groß genug geworden ist, um
selber zu atmen und zu trinken.“ Regine wird eingeölt. Dann bekommt sie ein
frisches Hemdchen und ein Jäckchen an und wird wieder gewickelt, bevor sie in
ihr Bett kommt.
Viel Arbeit macht so ein Kind.
Für Brüder bleibt nicht mehr allzuviel Zeit. Er vergißt seinen Gick und plagt
sich in den nächsten Monaten mit der Frage herum, wieso gerade dieses kleine
Mädchen so überaus wichtig ist und wie es zugeht, daß er selber immer mehr an
Bedeutung bei Günthers verliert.
Eigentlich hätte er schon
beinahe gar nichts mehr gegen seine kleine Schwester einzuwenden gehabt — aber
diese Regine versteht es zu sehr, Brüder immer stärker beiseite zu schieben.
Und das tut natürlich weh.
Kommt Guggi nach Hause, so ist
ihr erster Weg an den Korb. Regine scheint einen besonderen Sinn dafür zu
haben, wann Guggis Schule aus ist. Gleichgültig, ob Guggi mittags oder erst am
späten Nachmittag erscheint, Regine erwartet sie jedenfalls mit offenen Augen,
läßt sich von ihr umhertragen, Lieder Vorsingen, läßt sich von ihr windeln, die
Haare bürsten und sich zärtlich wiegen. Und nach einigen Wochen lacht sie ihr
bereits fröhlich entgegen. Für Brüder hat Guggi keine Zeit mehr.
Brüder versucht, die Liebe der
untreu gewordenen Guggi sich zurückzuerobern. Er zeigt ihr, daß er ganz allein
gelernt hat, ein H zu schreiben. Guggi soll ihm nun die anderen Buchstaben
beibringen.
„Ach“, winkt Guggi ab, „das
lernst du noch alles früh genug in der Schule!“ Es macht ihr mehr Spaß, Regine
aufs Töpfchen zu setzen, als mit ihm Buchstaben zu schreiben.
Brüder putzt Guggis Schuhe. Er wickelt ihr die Frühstücksbrote ein. Er geht einkaufen, damit
Guggi es nicht zu tun braucht. Aber anstatt sich zu bedanken und sich ein
bißchen mit ihm zu beschäftigen, sagt sie nur: „Höchste Zeit, daß du dich bei
uns nützlich machst!“ und fährt Regine im Kinderwagen
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