Schwestern schenkt der liebe Gott
er vertilgt ohne
Anstrengung sieben Stück Kuchen. Dazu trinkt er drei Glas Milch.
Leider kann ihm die Mutter
nicht lange Gesellschaft leisten, denn sie muß die Babysachen herauslegen, den
Wickeltisch im Schlafzimmer einräumen, die Küche in Ordnung bringen. Sie hat zu
waschen, zu stopfen, zu nähen. Man glaubt nicht, was sich in zehn Tagen
ansammelt.
Regine liegt in ihrem Korb und
schläft. Sie ist so still, daß Brüder unruhig wird ,
denn er ist gewöhnt, daß Kinder zappeln, schreien oder spielen und sich auf
irgendeine Weise bemerkbar machen. Er muß unbedingt nachsehen, ob sie noch am
Leben ist. Wenn er sich auch nicht um sie kümmern will, nein, beileibe nicht —
aber es schadet wohl nichts, wenn er rasch einmal nachschaut. Denn es könnte ja
etwas passiert sein.
Regine liegt auf der Seite. Ob
sie atmet, kann Brüder nicht feststellen, obwohl er sich dicht über sie beugt
und angestrengt lauscht. Ihre Augen sind fest geschlossen. Es ist ihm
unheimlich, daß er sie nicht schnaufen hört und daß sie sich so wenig bewegt
wie ein Kieselstein. Er stößt sachte mit dem Knie an den Korb. Sie soll bloß
mit dem kleinen Finger zucken, dann will er sofort weggehen. Nur wissen mödite er, daß sie lebt. Weiter nichts. Aber sie
liegt stumm und starr da wie ein abgezogener Hase im Schaufenster einer Wild-
und Geflügelhandlung.
Eine gräßliche Angst befällt
Brüder. Seine Schwester ist so winzig. Und sehr gescheit kommt sie ihm auch
nicht vor. Vielleicht hat sie vergessen, Luft zu holen! Er klopft ihr mit dem
Finger auf die Backe.
Da schüttelt sie sich, spitzt
das Mäulchen und fährt suchend umher. Gott sei Dank! Brüder atmet befreit auf. Er denkt, nun sei alles gut, und scüleicht vom Korb weg. Soll sie
seinetwegen weiterschlafen!
Aber Regine richtet sich nicht
nach den Wünschen ihres Bruders. Sie fängt an, leise zu wimmern.
„Nanu“, sagt die Mutter, „sie
hat doch erst in der Klinik zu trinken bekommen. Was will sie denn jetzt schon
wieder?“
Das Weinen wird lauter. Brüder
würde gern etwas tun, daß sie aufhört. Aber was? Nun ärgert es ihn, daß er an
den Korb gegangen ist.
Allmählich steigert sich das
Weinen zu wütendem Gebrüll. Brüder schwört insgeheim, nie wieder das
Schlafzimmer zu betreten, solange seine Schwester darin ist. Sie kommt ihm vor
wie eine elektrische Alarmanlage, die man zwar an-, aber nicht abstellen kann.
Die Mutter blickt in den Korb
hinein. „Na, mein Fräulein, was ist los?“
Wenn Regine reden könnte, dann
würde sie antworten: ,Dieser junge Mann da, der dort an der Türe steht und
dauernd erklärt, er will mit mir nichts zu tun haben, klopft mir auf die Backe,
wenn ich schlafe. Ich finde das allerhand!’
Zu Brüders Beruhigung verrät
sie jedoch nichts. Gottlob fehlen ihr noch die Worte. Die Mutter nimmt sie aus
dem Korb und setzt sich mit ihr auf den Bettrand. Dann öffnet sie die Bluse und
legt den kleinen Schreihals an ihre Brust. Sofort wird es still im Zimmer.
Brüder findet es wunderbar, daß
wenigstens die Mutter ein Mittel weiß, um das nervensägende Geplärr
abzustellen. Er kommt neugierig heran und sieht zu, was seine Schwester treibt.
Sie liegt, die Hände zu winzigen Fäusten geballt, im Arm der Mutter und trinkt.
Die Augen hat sie zu. In ihrer Mundecke schimmerte ein Tropfen Milch. „Warum
trinkt sie denn da?“ fragt Brüder.
„Weil sie Durst hat!“
„Nein, ich meine, warum trinkt
sie denn von dir?“
„Es ist die gesündeste Nahrung,
die es für ein Baby gibt.“
„Beißt sie dich denn nicht?“
„Nein, sie hat ja noch keine
Zähne.“
„Aber dann kann sie doch gar
nichts essen.“
„Zu essen braucht sie noch
nicht. In der ersten Zeit bekommt sie nur Milch.“
„Wird die denn nie alle?“
„Nein. Solange ein Baby bei
seiner Mutter trinkt, bildet sich immer neue Nahrung. Es ist so viel da, daß
ein Kind bequem sechsmal am Tage satt wird.“
„Schmeckt das gut?“
„Ich glaube: ja!“
„Kann ich mal kosten, Mutti?“
„Aber du bist doch kein Baby
mehr, Brüder. Das ist nur für die ganz kleinen Kinder, die noch keine Zähne
haben!“
Um es genau zu sagen: Brüder
ist es nicht allzusehr um das Kosten zu tun. Aber er sieht, daß dieses neue
Kind bei seiner Mutter etwas darf, was er nicht darf. Die Mutter hat ihm bisher
allein gehört. An ihre Schulter hat er sich angelehnt, wenn er müde war. In
ihre Arme ist er gekrochen, sooft er sich den Kopf an den Widerborstigkeiten
der Welt eingerannt hatte. Und jetzt macht
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