Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
eingelassen worden. Sekunden später fielen im Haus zwei Schüsse. Als Leonow herauskam und in seinen Wagen stieg, um davonzufahren, ließen Vann und Dunleavy die Falle zuschnappen und verhafteten ihn. Titow wurde in der Küche seines Hauses tot aufgefunden, mit zwei Black-Talon-Geschossen im Kopf. Die Ballistik wies anschließend nach, dass beide Kugeln aus Leonows Waffe abgefeuert worden waren.

    Eine sonnenklare Sache. Der Täter verurteilt, die Waffe von der Polizei sichergestellt. Rizzoli konnte keinerlei Verbindung zwischen den Morden an Wassily Titow und Anna Leoni erkennen, bis auf die Verwendung von Black-Talon-Geschossen. Eine Munition, die inzwischen Seltenheitswert besaß, aber das reichte noch nicht aus, um einen echten Zusammenhang zwischen den beiden Fällen herzustellen.
    Und dennoch blätterte sie weiter in den Akten, las und las und vergaß darüber das Abendessen. Als sie endlich beim letzten Ordner angelangt war, war sie so müde, dass sie sich kaum noch konzentrieren konnte. Ich bringe die Sache jetzt hinter mich, dachte sie, und dann packe ich die Akten wieder in den Karton und lasse es gut sein für heute.
    Sie schlug den Ordner auf und fand einen Bericht über die Durchsuchung von Antonin Leonows Lagerräumen. Auf Detective Vanns Schilderung der Razzia folgte eine Liste der Angestellten Leonows, die dabei verhaftet worden waren, sowie eine Aufstellung sämtlicher konfiszierten Gegenstände, von Kisten mit Waren über Bargeld bis hin zu Geschäftsbüchern. Sie blätterte weiter und stieß auf eine Liste der bei der Razzia anwesenden Beamten. Zehn Cops, alle vom Boston PD. Ihr Blick blieb an einem bestimmten Namen hängen, einem Namen, der ihr nicht aufgefallen war, als sie den Bericht vor einer Woche gelesen hatte. Ein reiner Zufall. Das muss noch längst nicht bedeuten …
    Doch dann dachte sie noch einmal darüber nach. Sie erinnerte sich an eine Drogenrazzia, an der sie als junge Streifenpolizistin teilgenommen hatte. An den Lärm, die Aufregung. Und das Chaos – wenn ein Dutzend vom Adrenalin aufgeputschte Cops ein Gebäude stürmten, in dem sich vielleicht ein Verdächtiger vesteckt hält, dann ist jeder nervös, dann achtet jeder nur auf sich selbst. Und merkt nicht unbedingt, was sein Nebenmann gerade macht. Was er heimlich in seine Tasche gleiten lässt. Geld, Drogen. Oder eine Schachtel Munition, die kein Mensch je vermissen wird.
Die Versuchung, ein Souvenir mitgehen zu lassen, ist immer da. Ein Souvenir, das man irgendwann später vielleicht gut gebrauchen kann.
    Sie nahm den Hörer ab und rief Frost an.

31
    Die Toten waren keine angenehme Gesellschaft.
    Maura saß vor ihrem Mikroskop und betrachtete Schnitte von Lunge, Leber und Bauchspeicheldrüse – dünne Scheiben, herausgeschnitten aus den sterblichen Überresten eines Selbstmörders, unter Glas konserviert und mit Hämatoxylin-Eosin-Mischung knallig pink und lila eingefärbt. Bis auf das gelegentliche leise Klirren der Objektträger und das dezente Zischen der Klimaanlage war es still im Gebäude. Und doch war es nicht menschenleer; unten im Kühlraum lagen ein Dutzend stumme Besucher in ihren fest verschlossenen Leichensäcken. Stille und unauffällige Gäste; und dennoch hatte jeder von ihnen eine Geschichte zu erzählen – aber nur für diejenigen, die bereit waren, ganz genau hinzusehen.
    Das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete; sie ließ den Anrufbeantworter mit der Ansage für die Stunden nach Dienstschluss anspringen. Zur Zeit ist niemand hier – nur die Toten. Und ich .
    Die Geschichte, die Maura nun durch das Okular ihres Mikroskops erblickte, war keine neue. Junge Organe, gesundes Gewebe. Ein Körper, der dazu geschaffen war, noch viele Jahre zu leben, wenn die Seele es nur gewollt hätte, wenn nur eine innere Stimme dem verzweifelten Mann zugeflüstert hätte: Augenblick mal, nicht so hastig. Liebeskummer ist vergänglich. Dieser Schmerz wird vorübergehen, und eines Tages wirst du ein anderes Mädchen finden, das deine Liebe erwidert.
    Sie war mit dem letzten Schnitt fertig und steckte den Objektträger in den Kasten. Und dann schweiften ihre Gedanken ab, von den Gewebeproben, die sie gerade begutachtet hatte, zu dem Bild eines jungen Mannes mit dunklen Haaren
und grünen Augen. Sie hatte bei seiner Autopsie nicht zugesehen; an diesem Nachmittag war sie oben in ihrem Büro geblieben, während Dr. Bristol ihn obduziert hatte. Sie hatte Berichte diktiert und bis in den Abend hinein Gewebeproben inspiziert,

Weitere Kostenlose Bücher