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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Instant-Baby im Arm. Sie dachte an ein anderes dunkelhaariges Baby, im Arm gehalten von einer anderen Mutter. Vielleicht hatte just an diesem Tag in einer anderen Stadt ein anderer Vater ein Foto von seiner neuen Tochter geschossen. Einem Mädchen namens Anna.

    Maura blätterte weiter. Sah sich vom kleinen Mädchen, das seine ersten wackligen Schritte machte, zum Kindergartenkind heranwachsen. Hier war sie auf ihrem nagelneuen Fahrrad zu sehen, gehalten von der Hand ihres Vaters. Dort bei ihrem ersten Klaviervortrag, das dunkle Haar mit einer grünen Schleife zusammengebunden, die Hände über den Tasten schwebend.
    Sie schlug die letzte Seite auf. Weihnachten. Maura, sieben Jahre alt, stand da, umrahmt von Mutter und Vater, ihre Arme liebevoll ineinander verschlungen. Hinter ihnen der geschmückte Baum, glitzernd vor Lametta. Alle lächelten. Ein wunderbarer Augenblick, dachte Maura. Aber solche Augenblicke sind vergänglich; sie kommen und gehen, und wir können sie nicht zurückholen; wir können nur immer wieder neue schaffen.
    Sie war am Ende des Albums angelangt. Es gab natürlich noch weitere, noch mindestens vier Bände, in denen Mauras Geschichte dokumentiert war; jedes Ereignis von ihren Eltern festgehalten und katalogisiert. Aber dies war das Album, das ihr Vater sich mit ans Bett genommen hatte, mit den Fotos seiner Tochter als Baby, mit ihm und Ginny als vitalen, vor Energie strotzenden Eltern; damals, als sich noch kein Grau in ihre Haare eingeschlichen hatte. Bevor das Leid in ihr Leben getreten war, bevor der Tod Ginny hinweggerafft hatte.
    Sie blickte auf die Gesichter ihrer Eltern und dachte: Wie glücklich kann ich mich schätzen, dass ihr euch für mich entschieden habt. Ihr fehlt mir. Ihr fehlt mir beide so sehr. Sie schlug das Album zu und starrte durch einen Schleier von Tränen auf den Ledereinband.
    Wenn ihr doch nur hier sein könntet. Wenn ihr mir nur sagen könntet, wer ich wirklich bin.
    Maura ging in die Küche und nahm die Visitenkarte vom Tisch, die Rizzoli dort hingelegt hat. Vorne war Rick Ballards Dienstnummer im Revier Newton abgedruckt. Sie drehte die Karte um und sah, dass er auch seine Privatnummer
aufgeschrieben hatte, dazu die Worte: »Rufen Sie mich jederzeit an. Tag oder Nacht. – R. B.«
    Sie ging zum Telefon und wählte seine Privatnummer. Beim dritten Läuten meldete sich ein Mann: »Ballard.« Nur der Nachname, gesprochen mit fester, klarer Stimme. Das ist ein Mann, der ohne Umschweife zur Sache kommt, dachte sie. Er wird nicht gerade begeistert sein über den Anruf einer Frau, die kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht. Im Hintergrund konnte sie eine Fernsehreklame hören. Er war zu Hause, genoss einen entspannten Feierabend; da konnte er eine solche Störung mit Sicherheit nicht gebrauchen.
    »Hallo?«, sagte er, nun schon mit einem Anflug von Ungeduld.
    Sie räusperte sich. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie zu Hause anrufe. Detective Rizzoli hat mir Ihre Karte gegeben. Mein Name ist Maura Isles, und ich …« Und was? Ich will, dass Sie mir helfen, diese Nacht durchzustehen?
    »Ich habe Ihren Anruf schon erwartet, Dr. Isles«, sagte er.
    »Ich weiß, ich hätte bis morgen früh warten sollen, aber …«
    »Nicht doch. Sie müssen eine Menge Fragen haben.«
    »Diese Sache geht mir wirklich an die Nieren. Ich habe nie gewusst, dass ich eine Schwester habe. Und auf einmal …«
    »Ist für Sie nichts mehr wie vorher. Nicht wahr?« Die Stimme, die noch vor wenigen Sekunden so schroff geklungen hatte, war jetzt so ruhig, so verständnisvoll, dass ihr unvermittelt die Tränen in die Augen stiegen.
    »Ja«, flüsterte sie.
    »Wir sollten uns wohl besser treffen. Bei mir ginge es nächste Woche jeden Tag. Oder wenn es Ihnen lieber wäre, dass wir uns abends treffen …«
    »Hätten Sie heute Abend Zeit für mich?«
    »Meine Tochter ist hier. Ich kann im Moment nicht weg.«
    Natürlich, er hat schließlich Familie, dachte sie. Sie
lachte verlegen. »Tut mir Leid. Ich habe nicht nachgedacht …«
    »Also, warum kommen Sie nicht einfach zu mir?«
    Sie schwieg einen Moment; das Blut pochte in ihren Schläfen. »Wo wohnen Sie?«, fragte sie.
     
    Er wohnte in Newton, einem ruhigen Vorort im Westen von Boston, keine vier Meilen von Brookline entfernt. Sein Haus sah aus wie alle anderen in dieser Straße, unauffällig, aber gepflegt; ein schlichter, kastenförmiger Bau in einer Straße, in der kein Haus besonders hevorstach. Als sie auf der Veranda stand, konnte sie durch

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