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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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nicht die Frau, die spontan Trost spendete oder einen mal eben in den Arm nahm. Aber da saß sie nun, hielt Mauras Hand und beobachtete sie mit besorgter Miene, als fürchtete sie, dass sie jeden Moment zusammenbrechen könnte.
    »Erzählen Sie mir von ihr«, sagte Maura leise. »Sagen Sie mir, was für eine Frau sie war.«
    »Vielleicht sollten Sie sich an Detective Ballard wenden.«
    »An wen?«
    »Rick Ballard. Vom Revier Newton. Er wurde mit ihrem Fall betraut, nachdem Dr. Cassell sie verprügelt hatte. Ich glaube, er hat sie ziemlich gut kennen gelernt.«
    »Was hat er Ihnen über sie erzählt?«
    »Sie ist in Concord aufgewachsen und war kurz verheiratet, mit fünfundzwanzig, aber die Ehe hat nicht lange gehalten. Es kam zu einer einvernehmlichen Scheidung; Kinder gab es keine.«
    »Und der Exmann ist nicht verdächtig?«
    »Nein. Er hat danach wieder geheiratet und lebt heute in London.«

    Eine geschiedene Frau, genau wie ich. Gibt es ein Gen, das gescheiterte Ehen vorprogrammiert?
    »Und gearbeitet hat sie, wie schon gesagt, in Charles Cassells Unternehmen Castle Pharmaceuticals . Als Mikrobiologin in der Forschungsabteilung.«
    »Eine Wissenschaftlerin.«
    »Ja.«
    Wieder eine Parallele zu mir, dachte Maura, während sie das Gesicht ihrer Schwester auf dem Foto betrachtete. Ich weiß also, dass sie Vernunft und Logik geschätzt hat, genau wie ich. Wissenschaftler lassen sich von ihrem Intellekt leiten. Sie finden Trost in Fakten. Wir beide hätten uns verstanden.
    »Ich weiß, es ist ein bisschen viel auf einmal, was Sie da verarbeiten müssen«, sagte Rizzoli. »Ich versuche mich in Ihre Lage zu versetzen, aber ich kann es mir nicht wirklich vorstellen. Es ist, als ob man plötzlich ein Paralleluniversum entdeckt, in dem es eine andere Version von einem selbst gibt. Zu erfahren, dass sie all die Jahre hier gelebt hat, in derselben Stadt. Wären Sie …« Rizzoli brach ab.
    Gibt es etwas Sinnloseres als Sätze, die mit »Wäre« und »Hätte« anfangen?
    »Es tut mir Leid«, sagte Rizzoli.
    Maura atmete tief durch und setzte sich kerzengerade auf, gab durch ihre Körpersprache zu verstehen, dass sie kein Händchenhalten nötig hatte. Dass sie sehr wohl in der Lage war, damit umzugehen. Sie klappte den Ordner zu und schob ihn Rizzoli hin. »Ich danke Ihnen, Jane.«
    »Nein, behalten Sie ihn nur. Die Kopie ist für Sie.«
    Sie standen beide auf. Rizzoli griff in ihre Tasche und legte eine Visitenkarte auf den Tisch. »Und das können Sie vielleicht auch brauchen. Er sagte, Sie könnten ihn gerne anrufen, falls Sie noch Fragen hätten.«
    Maura las den Namen auf der Karte: RICHARD T. BALLARD, DETECTIVE. NEWTON POLICE DEPARTMENT.
    »Er ist derjenige, mit dem Sie reden sollten«, sagte Rizzoli.

    Sie gingen zusammen zur Tür. Immer noch hatte Maura ihre Emotionen unter Kontrolle, immer noch spielte sie die perfekte Gastgeberin. Sie blieb auf der Veranda stehen, um Rizzoli zum Abschied zuzuwinken, dann schloss sie die Tür und ging ins Wohnzimmer. Dort stand sie und horchte auf das Geräusch von Rizzolis Wagen, bis es verstummt war und die Stille in ihre ruhige Wohnstraße zurückgekehrt war. Allein, dachte sie. Wieder einmal bin ich ganz allein.
    Sie ging zum Bücherregal und nahm ein altes Fotoalbum heraus. Es war Jahre her, seit sie zuletzt darin geblättert hatte; das war nach dem Tod ihres Vaters gewesen, als sie ein paar Wochen nach der Beerdigung sein Haus ausgeräumt hatte. Sie hatte das Album auf dem Nachttisch gefunden, und sie hatte sich vorgestellt, wie er in der letzten Nacht seines Lebens allein in diesem großen Haus im Bett gesessen und die Fotos seiner jungen Familie betrachtet hatte. Das Letzte, was er gesehen hatte, ehe er das Licht ausgemacht hatte, waren diese Bilder von glücklichen Gesichtern gewesen.
    Sie schlug das Album auf und blickte in diese Gesichter. Das Papier der Seiten war brüchig; einige der Fotos waren schon vierzig Jahre alt. Lange verweilte sie bei dem ersten Bild ihrer Mutter. Sie blickte strahlend in die Kamera, im Arm einen schwarzhaarigen Säugling. Im Hintergrund war das Haus zu sehen, an das Maura sich nicht mehr erinnerte, ein Haus mit viktorianischer Fassade und Erkerfenstern. Unter das Foto hatte Ginny, ihre Mutter, in ihrer typischen exakten Handschrift geschrieben: Willkommen zu Hause, Maura!
    Keine Bilder aus dem Krankenhaus, keine von ihrer schwangeren Mutter. Und dann unvermittelt dieses gestochen scharfe Foto von Ginny, lächelnd im Sonnenschein, ihr

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