Schwesternmord
das Fenster das bläuliche Schimmern des Fernsehers sehen, und sie hörte das monotone Stampfen von Popmusik. MTV – dass ein Cop sich ausgerechnet diesen Sender anschaute, hätte sie nicht erwartet.
Sie läutete. Die Tür ging auf, und sie erblickte ein junges Mädchen mit blondem Haar, das zerrissene Jeans und ein nabelfreies T-Shirt trug. Ein provozierendes Outfit für ein Mädchen, das kaum älter als vierzehn sein konnte, nach den schmalen Hüften und den kaum entwickelten Brüsten zu schließen. Das Mädchen sagte kein Wort, starrte Maura nur trotzig an, als müsse sie die Schwelle des Hauses vor diesem ungebetenen Eindringling schützen.
»Hallo«, sagte Maura. »Ich bin Maura Isles, und ich möchte zu Detective Ballard.«
»Erwartet mein Dad Sie?«
»Ja.«
Eine Männerstimme rief: »Katie, das ist für mich.«
»Ich dachte, es wäre Mom. Sie sollte längst hier sein.«
Ballard erschien an der Tür. Er überragte seine Tochter um einige Handbreit. Maura fiel es schwer zu glauben, dass dieser Mann, mit seinem konservativen Haarschnitt und dem gebügelten Oxford-Hemd, der Vater eines pubertierenden Pop-Nymphchens sein sollte. Er begrüßte sie mit einem kräftigen Handschlag. »Rick Ballard. Kommen Sie doch rein, Dr. Isles.«
Als Maura ins Haus trat, schlappte das Mädchen zurück ins Wohnzimmer, um sich wieder vor den Fernseher zu fläzen.
»Katie, du könntest unseren Gast wenigstens begrüßen.«
»Ich verpass doch sonst die Sendung.«
»Es ist ja wohl nicht zu viel verlangt, sich einen Moment Zeit für eine höfliche Begrüßung zu nehmen, oder?«
Katie seufzte vernehmlich und nickte Maura widerwillig zu. »Hi«, sagte sie und wandte sich wieder dem Fernsehbildschirm zu.
Ballard fixierte seine Tochter einen Moment lang, als überlegte er, ob es die Mühe lohnte, auf bessere Manieren zu pochen. »Stell wenigstens den Ton leiser«, sagte er schließlich. »Dr. Isles und ich müssen etwas besprechen.«
Das Mädchen schnappte sich die Fernbedienung und richtete sie wie eine Waffe auf den Fernseher. Die Lautstärke veränderte sich nur minimal.
»Möchten Sie vielleicht einen Kaffee? Oder Tee?«, fragte Ballard Maura schließlich.
»Nein, danke.«
Er nickte verständnisvoll. »Sie möchten nur mehr über Anna erfahren.«
»Ja.«
»Ich habe eine Kopie ihrer Akte in meinem Arbeitszimmer.«
Falls das Büro auf den Charakter des Besitzers schließen ließ, dann war Rick Ballard ebenso solide und zuverlässig wie der Eichenholzschreibtisch, der das Zimmer beherrschte. Ballard zog es vor, sich nicht hinter dem Schreibtisch zu verschanzen; stattdessen bot er ihr ein Sofa an und nahm selbst in einem Sessel gegenüber davon Platz. Nichts stand zwischen ihnen außer einem niedrigen Beistelltisch, auf dem nur ein Aktenordner lag. Selbst durch die geschlossene Tür konnten sie das manische Gewummer des Fernsehers hören.
»Ich muss mich für die Unhöflichkeit meiner Tochter
entschuldigen«, sagte er. »Katie macht gerade eine schwierige Zeit durch, und ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich sie noch in den Griff kriegen soll. Mit Schwerverbrechern werde ich locker fertig, aber mit einem vierzehnjährigen Mädchen?« Er lachte bitter.
»Ich hoffe, ich mache mit meinem Besuch nicht alles noch schlimmer.«
»Das hat gar nichts mit Ihnen zu tun, glauben Sie mir. Unsere Familie steckt zurzeit in einer schwierigen Übergangsphase. Meine Frau und ich haben uns letztes Jahr getrennt, und Katie weigert sich, diese Tatsache zu akzeptieren. Das führt zu allerhand Streitereien und Spannungen.«
»Tut mir Leid, das zu hören.«
»Eine Scheidung ist nie sehr erfreulich.«
»Meine war es jedenfalls nicht.«
»Aber Sie sind darüber hinweggekommen.«
Sie dachte an Victor, der vor gar nicht allzu langer Zeit wieder in ihr Leben geplatzt war. Dachte daran, wie er sie für eine kurze Weile dazu verleitet hatte, mit dem Gedanken an eine Versöhnung zu spielen. »Ich bin mir nicht sicher, ob man je ganz darüber hinwegkommt«, sagte sie. »Wenn Sie einmal mit einem Menschen verheiratet waren, ist er für immer ein Teil Ihres Lebens, im Guten wie im Schlechten. Der Schlüssel liegt darin, sich nur an die guten Seiten zu erinnern.«
»Das ist manchmal nicht so leicht.«
Sie schwiegen eine Weile. Das einzige Geräusch war der nervtötende Rhythmus trotziger Teenie-Musik aus dem Fernseher. Schließlich richtete er sich im Sessel auf, straffte die breiten Schultern und sah sie an. Es war ein Blick, dem sie
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