Schwesternmord
Kopf darunter hindurch. Es war der Tatort eines Verbrechens, den sie gerade betrat.
Das wurde ihr schlagartig klar, als sie eine vertraute Gestalt in der Mitte des abgesperrten Bereichs stehen sah. Obwohl noch der Vorgarten zwischen ihnen lag, hatte Maura Detective Jane Rizzoli von der Mordkommission sofort erkannt. Inzwischen im achten Monat schwanger, glich die kleine und zierliche Rizzoli einer reifen Birne in einem Hosenanzug. Ihre Anwesenheit war ein weiteres beunruhigendes Detail. Was hatte eine Ermittlerin des Boston Police Department hier in Brookline verloren, außerhalb ihres normalen Zuständigkeitsbereichs? Rizzoli sah Maura nicht kommen; ihr Blick war starr auf ein Auto gerichtet, das vor Mr. Telushkins Haus am Straßenrand geparkt war. Fassungslos schüttelte sie den Kopf, von dem ihre wirren schwarzen Locken wie immer in alle Richtungen abstanden.
Es war Rizzolis Partner Barry Frost, der Maura als Erster entdeckte. Er schaute kurz in ihre Richtung, wandte sich wieder ab und riss einen Sekundenbruchteil später den Kopf herum, um sie anzustarren. Sein Gesicht war kreidebleich. Wortlos zupfte er seine Partnerin am Ärmel.
Rizzoli erstarrte; das pulsierende Blaulicht der Streifenwagen erhellte ihre ungläubige Miene. Dann begann sie wie in Trance auf Maura zuzugehen.
»Doc?«, fragte Rizzoli leise. »Sind Sie es wirklich?«
»Wer soll ich denn sonst sein? Warum stellt mir eigentlich jeder hier diese Frage? Warum starrt ihr mich alle an, als wäre ich ein Geist?«
»Weil…« Rizzoli brach ab und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre zerzausten Locken flogen. »Mensch, einen
Moment lang hab ich wirklich gedacht, Sie sind ein Geist.«
»Was?«
Rizzoli drehte sich um und rief: »Pater Brophy?«
Maura hatte den Priester noch gar nicht gesehen, der ein wenig abseits stand. Jetzt trat er aus dem Schatten; sein weißer Kragen leuchtete auffallend hell. Sein sonst so attraktives Gesicht wirkte eingefallen, seine Miene geschockt. Wieso ist Daniel hier? Normalerweise wurde ein Priester nur dann zum Tatort gerufen, wenn die Familie eines Opfers geistlichen Beistand wünschte. Ihr Nachbar Mr. Telushkin war aber nicht katholisch, er war Jude. Er hätte keinen Grund gehabt, nach einem Priester zu verlangen.
»Könnten Sie sie bitte ins Haus bringen, Pater?«, sagte Rizzoli.
»Will mir vielleicht mal jemand erklären, was hier vor sich geht?«, fragte Maura.
»Gehen Sie ins Haus, Doc. Bitte. Wir erklären es Ihnen gleich.«
Maura spürte, wie Brophy den Arm um ihre Hüfte legte; sein fester Griff ließ sie wissen, dass jetzt nicht der rechte Zeitpunkt war, sich zu sträuben. Dass sie sich ganz einfach Rizzolis Anweisungen fügen sollte. Und so ließ sie sich von ihm zu ihrer Haustür führen. Sie spürte seine Körperwärme, registrierte den heimlichen Kitzel, den seine physische Nähe in ihr auslöste. So verunsichert war sie durch seine Gegenwart, dass ihre Finger ihr nicht recht gehorchen wollten, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Sie kannten sich nun schon einige Monate und verstanden sich sehr gut, aber sie hatte Daniel Brophy noch nie zu sich nach Hause eingeladen. Und ihre jetzige Reaktion erinnerte sie noch einmal daran, warum sie so strikt darauf geachtet hatte, eine gewisse Distanz zu wahren. Sie traten ein und gingen ins Wohnzimmer, wo dank der Zeitschaltuhr das Licht schon brannte. Sie blieb einen Moment lang vor der Couch stehen, unsicher über den nächsten Schritt.
Es war Pater Brophy, der das Kommando übernahm: »Setzen Sie sich«, sagte er und wies auf die Couch. »Ich bringe Ihnen etwas zu trinken.«
» Sie sind doch hier der Gast. Ich sollte Ihnen eigentlich etwas anbieten«, erwiderte sie.
»Nicht unter diesen Umständen.«
»Ich weiß ja gar nicht, was die Umstände sind.«
»Detective Rizzoli wird es Ihnen sagen.« Er ging hinaus und kam kurz darauf mit einem Glas Wasser zurück – nicht gerade das Getränk, für das sie sich in diesem Moment entschieden hätte; allerdings schien es irgendwie unangemessen, einen Priester zu bitten, ihr eine Flasche Wodka zu holen. Sie nahm einen kleinen Schluck von dem Wasser; sein Blick machte sie nervös. Er setzte sich in den Sessel gegenüber von ihr und ließ sie dabei keine Sekunde aus den Augen, als fürchtete er, sie könne sich in Luft auflösen.
Endlich hörte sie Rizzoli und Frost ins Haus kommen. Sie vernahm ihre Stimmen in der Diele; gedämpft unterhielten sie sich mit einer dritten Person, deren Stimme Maura nicht
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