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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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wartete, dass meine Brüder aufstanden. Dora war schon wach. Ich hörte das Klirren von Gläsern, als sie den Geschirrspüler ausräumte. Dann kam Elliot von oben herunter, um Trickfilme zu sehen. Robert war der nächste, dann schließlich Peter. Ich hörte, wie Dora den Geschirrschrank öffnete, das Geräusch von dem Tranchiermesser auf dem Holzbrett, als sie Orangen für den Saft zerkleinerte. Ich nahm die leere Wodkaflasche mit in die Küche, um sie zu entsorgen. Dora drehte sich mit einem prüfenden Blick zu mir um, die Muskeln an ihren Armen traten vom Auspressen der Orangen hervor.
    Â«Wo hast du die gefunden?»
    Â«Im Wohnzimmer?»
    Dora schüttelte den Kopf.
    Â«Hallelujah. Mensch; und ich habe schon viel gesehen.»
    Ich nahm mir eine Schüssel aus dem Hängeschrank und schüttete Cornflakes und Milch hinein, setzte mich dann auf einen Stuhl. Dora reichte mir ein Glas Saft.
    Â«Trink das», sagte sie und kam zu mir herüber.
    Sie stand dicht vor mir. Ich atmete Hautcreme ein und den Geruch von Orangen an ihren Händen. Sie goss drei weitere Gläser ein und stellte sie auf den Tisch, eins vor jeden leeren Stuhl.
    Â«Ich kann das Fruchtfleisch nicht ausstehen», sagte ich und nahm einen kleinen Schluck.
    Â«Aber genau das ist gut für dich. Trink es trotzdem.»
    Sie sah mich streng an, aber ich lächelte, beruhigt vonihrem stabilen, grimmigen Auftreten, ihrer durchdringenden Art zu reden; ihrer nach Schweiß riechenden, dunklen Haut.
    Â«Wie hältst du es bloß mit uns aus?»
    Sie wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders.
    Â«Sarah, trink deinen Saft.»
    Sie ging zurück zum Spülbecken, wo sie den Geschirrspüler zu Ende ausräumte.
    Auch nach wiederholtem Bitten weigerte sich Vater, uns mit ins Krankenhaus zu nehmen. Die Ärzte hatten Mutter zur Beobachtung in eine besondere Art Gewahrsam genommen.
    Â«Ich respektiere den Wunsch deiner Mutter.»
    Sie wollte uns erst sehen, wenn ihr Gesicht abgeschwollen war, was laut Ärzten eine Woche dauern sollte. Ich hörte meine Tante zu meinem Vater sagen, dass meine Mutter eine andere Art von Hilfe bräuchte.
    Ein paar Leute, die bei der Dinnerparty gewesen waren, kamen vorbei und brachten uns einen Auflauf und Pralinen. Shell kreuzte in einem roten Cardigan und grünen Hosen auf, einen Obstkorb auf dem Arm. Er strubbelte mir mit den Fingerknöcheln über den Kopf.
    Â«Kein Grund zur Sorge», versicherte er mir. «Das ist der Wetterumschwung. Davon wird man ganz irre.»
    Â«Was für ein Umschwung?», fragte ich.
    Â«Sommerhitze.»
    Ihre Überdosis Alkohol und Tabletten erwähnte er nicht. Das tat keiner.
    Meine Tante band mir die Haare hoch. Ihre langen Finger brachten mich zum Lächeln.
    Â«Was?», fragte ich vorwurfsvoll.
    Â«Sie ist bald wieder zu Hause.»
    Â«Wäre sie nicht mitten in der Nacht durch die Gegend gefahren, dann wäre das alles nicht passiert.»
    ~~~~~~~~~~~
    Als ich in dieser Nacht im Bett lag, schwebte ich über den Dächern der benachbarten Häuser. Ich versuchte, im Dunkeln die Sterne zu zählen, aber sie wichen zurück wie Sand, der mit dem Strom an ein anderes Ufer zieht. Ich ließ mich beim Anblick des zunehmenden Mondes rückwärts auf mein Bett fallen. Das Licht der Mondsichel ließ die Fensterscheibe wie zersplittert erscheinen. Mutter tauchte in der kaputten Glasscheibe auf und lächelte; sie trug einen roten Wollrock und einen Kaschmirpullover, um ihren Hals hing eine lange Perlenkette. Ihr Diamantring fehlte.
    Mutter?
    Liebes.
    Wann kommst du nach Hause? Bald, Liebling.
    Ich stand vor ihr und starrte sie an; sie sagte aber nichts weiter.
    Mutter kam nach einer Woche nach Hause, genau wie alle gesagt hatten. Am ersten Abend kam sie in mein Zimmer.
    Â«Bist du noch wach?», fragte sie vom Türrahmen aus.
    Â«Mehr oder weniger.»
    Sie kam näher und setzte sich auf die Bettkante, die Matratze war so dick, dass ihr Gewicht kaum einen Unterschied machte.
    Â«Hausaufgaben schon erledigt?», fragte sie und nahm mein Ohrläppchen zwischen ihre Finger.
    Â«Klar.»
    Â«Gut.»
    Sie stand vom Bett auf und ging zu meinem Schreibtisch, wo sie mit einem Bleistift herumfuchtelte, dann die Vorhänge auseinander hielt und nach draußen schaute. Im Straßenlicht, das auf ihre Wange traf, sah ihr oval geschnittenes Gesicht leer aus, wie eine schöne Kristallschale. Um

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