Schwimmen in der Nacht
Unsere Menora steht in der Küche, auf dem Fuà des Leuchters kleben Wachstropfen, hart geworden wie Tortenglasur. Ich spüre keine Aufregung vor dem Auftritt morgen Abend. Es wird ein angenehmes Publikum sein: Tierliebhaber, die Spendengelder für ein Elefantenreservat in Afrika sammeln. Meine direkte Nachbarin Becca hat die Veranstaltung im nahen West Hollywood organisiert, und anscheinend haben fünfhundert Leute Tickets gekauft. Für eine Indie-Folk-Sängerin wie mich ist das ein guter Zuhörerkreis.
In meinem Schlafzimmer herrschen angenehme zwanzig Grad, und das im Dezember, was für mich noch immer seltsam ist. Selbst nach über dreiÃig Jahren, die ich jetzt hier lebe, habe ich mich noch nicht an die milden Winter in L.A. gewöhnt, als ob ich immer noch auf Schneefälle und eisige Winterkälte warten würde. Meine beiden Söhne â der älteste nach Opa Joe benannt, mein jüngster nach Alans Vater Steven â sind dieses Jahr mit ihren Freundinnen an der Ostküste. Seltsam ist auch, wie alle, bis auf Peter und mich, wieder zurück in Neuengland sind â Elliot auf seinem Bauernhof in Vermont und Robert, der Yale nach seinem Abschluss nie verlassen hat, arbeitet dort jetzt als ordentlicher Professor. Ich bin hier, und Peter unterrichtet an der Universität von Kalifornien Musik. Ich mag die Unwägbarkeit von Winterwetter einfach nicht, und trotzdem zerrt die kalte Seite der Welt in dieser Jahreszeit am stärksten an mir.
7. Kapitel
Nylonstrümpfe
Einen Monat nach Mutters Unfall kam ich auf die Highschool, die Soquaset High. In dem Klassenzimmer, in das ich jeden Morgen zur Anwesenheitskontrolle musste, saà rechts neben mir Margaret Lucci. Ihr Nachname folgte auf meinen.
«Ich habe das Baby auf der Toilette verloren», sagte Margaret in der dritten Woche des ersten Halbjahres.
«Was hast du?»
«Ich habe es auf der Mädchentoilette verloren. Ich hatte eine Fehlgeburt.»
Wir saÃen zusammen an einem Tisch, einem langen, der in der Mitte von zwei Regalfächern geteilt wurde. Mir gehörte das untere Fach, dort lagen mein Notizbuch und meine Schreibsachen. Margaret legte ihre Unterlagen in das obere Fach.
«Bist du sicher?» Ich beugte mich kopfüber und tat so, als würde ich etwas in meinem Fach suchen. Ich wollte ihr glauben, aber ich konnte an ihrem Körper nichts entdecken, was darauf hindeutete. Sie hatte einen gerade geschnittenen, engen schwarzen Rock und eine weiÃe Bluse an, die so durchsichtig war, dass ihr schwarzer BH sich deutlich unter dem Baumwollstoff abhob. Jedes Mal, wenn sie die Arme bewegte, wippten ihre Brüste. Ich kramte in meinem Fach und zog einen Stapel linierter Blätter heraus. Bis auf Mutter, als sie mit meinen jüngerenBrüdern schwanger war, hatte ich nie eine Schwangerschaft miterlebt. Und die Erinnerungen, die ich an meine Mutter hatte, waren die an eine Frau mit kartoffelsackähnlicher Kleidung.
Margaret nickte. «Ich bin ganz sicher. Sechs Wochen und vier Tage. Komm mit auf die Mädchentoilette, wenn es klingelt.»
Ich nickte und schaute nach vorn zu Mr Giles, der auch mein Englischlehrer war.
«Kunitz?», fragte er sanft. Er sah nicht so aus, als hätte er gehört, was ich gerade gehört hatte.
«Hier.» Ich hob die Hand.
Mr Giles saà an seinem Schreibtisch vor der wandgroÃen Tafel und kritzelte mit einem Bleistift meinen Namen in sein Anwesenheitsbuch. Seine Hände zitterten. Die Radiergummikappe oben auf dem Bleistift wackelte merklich. Sein Blick, immer freundlich, schwenkte von meinem Gesicht rüber zu Margaret Luccis.
«Lucci?»
Margaret nickte.
Ich drehte mich wieder zu ihr. Sie hatte glatte schwarze Haare, kinnlang geschnitten. Der Nacken war von winzigen Härchen ganz dunkel. Der Pony fiel ihr bis auf die Wimpern.
«Ich hatte furchtbare Krämpfe.» Das flüsterte sie mir zu, nachdem Giles den nächsten Namen aufgerufen hatte.
«Monihan? Patterson?» Mr Giles klang leidend, irgendwie angeschlagen.
«Meinst du nicht, du solltest nach Hause gehen und dich ausruhen?» Ich machte mir Sorgen um sie. Gleichzeitigfühlte ich mich von ihrem Geständnis geehrt und aufgemuntert. Soweit ich wusste, hatte sie mich erwählt, niemand anderen.
«Nein. Meine Mutter darf keinen Verdacht schöpfen.»
«Meine Mutter würde das gar nicht mitkriegen», sagte ich und versuchte noch zu verhindern, dass
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