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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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unermüdlich auf und zu, strich von innen und außen darüber und prüfte, wie die einzelnen Zähne ineinandergriffen, wobei er sich durch nichts und niemanden stören ließ. Am dritten Tag schließlich war der Reißverschluss kaputt.
    Da die verpflanzte Haut auf seiner Lippe von der Wade stammte, wuchs dort ein zarter Flaum. Immer wenn er sprach oder sein Atem darüberstrich, erzitterten die Härchen. Da sie sich sorgte, ob die Narbe richtig verheilte, starrte die Großmutter unentwegt auf die Lippen des Jungen. Sie wusste besser Bescheid über die Bewegung der Härchen als jeder andere. Auch wenn ihr Enkel sie nur schweigend anschaute, ahnte sie, was in ihm vorging. Deshalb war er ihr gegenüber sogar noch eine Spur einsilbiger. Die beiden kommunizierten über seinen Flaum.
    Am redseligsten war der Junge beim Zubettgehen. Sein Refugium war ein Schrank neben dem Ofen im Wohnzimmer, der zu einer Art Alkoven umgebaut worden war. Sein kleiner Bruder schlief im Schlafzimmer der Großeltern im zweiten Stock, sodass der Junge nachts allein war.
    Den Alkoven verdankte er der Handwerkskunst seines Großvaters. Auf die verstärkten Mittelbretter wurde eine Matratze gelegt, während die nackten Innenwände, die aus Sperrholzplatten bestanden, mit einer Flugzeug-Tapete ausgekleidet waren. Es gab auch einen Vorhang, der an einer Schiene befestigt war. Auf diese Weise hatte der Junge sein eigenes Reich, das ihm an sich schon genügte, aber sein Großvater gab sich damit noch nicht zufrieden. Am Kopfende brachte er eine kleine Glühbirne an und eine blau angemalte Flügeltür, die man auch von innen öffnen und schließen konnte. Bei geschlossener Tür konnte man den Jungen nun nicht mehr sehen.
    »Aber da drinnen kriegt er doch keine Luft. Und wenn er das Bewusstsein verliert, merkt es keiner.«
    Dieser Einwand kam natürlich von der Großmutter, die sich um das Wohlergehen ihres Enkels immer übermäßig sorgte. Wobei es der Junge nie mochte, wenn zu viel Aufhebens um seine Person gemacht wurde. Aber sein Großvater kramte daraufhin in seinem Werkzeugkasten herum und sägte dann ein rechteckiges kleines Fenster oben in die Tür. Es war eigentlich als Luftschlitz gedacht und gerade groß genug, um die Sorgen der Großmutter zu zerstreuen. Andererseits war es auch klein genug, damit der Junge ungestört bleiben konnte. Denn sein Großvater hatte intuitiv begriffen, was für eine Art von Unterschlupf sein Enkel brauchte.
    Als der Alkoven fertig war, wurde sein kleiner Bruder neidisch und bestand darauf, selbst darin zu schlafen. Widerwillig erlaubte es ihm der Junge, aber nur für eine Nacht. Am Ende hielt es der Kleine keine halbe Stunde darin aus und stürzte dann weinend heraus.
    »Wenn man in solch einem engen Raum schläft, kann man ja gar nicht wachsen«, rechtfertigte er sich. Er war ein schlechter Verlierer. Und so blieb der Alkoven, wie ursprünglich vorgesehen, das Reich seines großen Bruders.
    Für den Jungen war es ein maßgeschneiderter Kasten inmitten nächtlicher Dunkelheit. Sie umgab ihn wie ein schützender Kokon, der absolut undurchlässig war. Da es nur die eine Tür gab, rückte die Außenwelt in weite Ferne. Der Junge liebte die Finsternis im Inneren und genoss es, wenn sich vor seinen Augen, egal ob sie geschlossen oder geöffnet waren, nicht das Geringste änderte. Aber genauso mochte er die vage flackernden Schattenfiguren, die das Licht projizierte, wenn er die Glühbirne am Kopfende einschaltete. Als wäre er in einem Kaleidoskop oder in einer
Laterna magica
eingesperrt. Er hatte das Gefühl, etwas zu besitzen, was für andere unsichtbar blieb.
    Zudem hatte der Junge immer einen Gesprächspartner: das kleine Mädchen, das in dem Spalt zwischen den Häusern feststeckte und nicht mehr herauskonnte. Wenn er sich nach links drehte, war er mit dem Gesicht direkt an der Hauswand.
    »Hallo Miira, guten Abend.«
    Er hatte das Wort »Miira«, Mumie, bei den Erwachsenen aufgeschnappt und war überzeugt, das wäre ihr Name.
    »Was für ein Glück, dass ich dich immer zur Schlafenszeit antreffe. Stell dir vor, es wäre am Morgen, wie sollte ich dich dann begrüßen? Bei dir herrscht doch immer dunkle Nacht, Miira.«
    Jedes Mal, wenn er mit ihr redete, dachte er daran, wie hübsch doch ihr Name war.
    »Heute habe ich Indira auf der Dachterrasse einen Besuch abgestattet. Der Boden, wo einst ihr Käfig stand, hat lauter Dellen. Gestern Nacht hat es geregnet, und es haben sich darin Pfützen gebildet. Es sind bestimmt

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