Schwindel
Kilometer
stand da – doch er bog in die falsche Richtung ab.
Jetzt war auch die Panik da.
Zum katastrophalen Drehen in meinem Kopf kam der hämmernde Herzschlag, ich spürte ihn im Hals und auf der Zunge, meine Kehle
war so verkrampft, dass jeder Ton kiekste. »Was soll das? Willst du mich entführen?« Ich klang erbärmlich. Ich war erbärmlich.
Ich habe total versagt, Herr Fuchs. Ich bin hier eingestiegen, weil ich Mirko für harmlos hielt, weil ich größenwahnsinnig
war, weil ich um jeden Preis durchhalten wollte, was weiß ich warum. Aber jetzt ist es zu spät, jetzt bekomme ich die Rechnung
für meine Dummheit.
»Wieso entführen? Wir gehen Eis essen. In Munkelbach hat nichts mehr offen. Wir müssen in die Kreisstadt.«
»Das war nicht abgemacht!« Man konnte mir meine Verzweiflung anhören und ich hasste mich dafür.
»So hab ich’s aber gemeint. Jeder weiß, dass in Munkelbach um sieben die Bürgersteige hochgeklappt werden.«
»Dann gib mir mein Handy! Wenn ich Julian nicht Bescheid sage, ruft er die Polizei.«
Das war schlecht geblufft und Mirko entging es nicht.Er lachte auf. »Meinst du, der vermisst dich? Jetzt, da er mit Esra ungestört ist? Ach so, du willst nicht, dass der Arme
sich Sorgen macht«, säuselte er, drehte mir den Kopf zu und setzte eine ironisch nachsichtige Miene auf. »Du liebst ihn trotzdem.«
Konnte es sein, dass Mirko mit meiner Angst spielte?
»Julian wird mich vermissen.«
»Schon gut«, maulte Mirko unwirsch, »reg dich nicht auf! Ich hab nur Spaß gemacht. Natürlich kannst du ihn anrufen. Ich wollte
dich nicht erschrecken oder verärgern, ich hab dir das Handy nur weggenommen, weil ich dich um eine einzige Sache bitten wollte:
Sag ihm nichts von Alinas Brief, versprich mir das! Das ist alles, Eva. Hey! Glaubst du allen Ernstes, ich will dich entführen?
Bin ich bekloppt? Warum sollte ich das machen?« Er sah zu mir herüber, jetzt mit aufgerissenen Augen, in denen wieder Tränen
schimmerten. »Das bildest du dir ein, Eva, du hast zu viel Fantasie! Ey, ich mag dich. Ehrlich! Ich bin nur völlig fertig
wegen der Sache mit Alina. Verstehst du das nicht?«
Er verwirrte mich. Er kam mir schwach und gefährlich zugleich vor. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also gab ich ihm
die Antwort, die er hören wollte: »Ich sage Julian nichts von dem Brief. Aber ich sage ihm, wohin wir fahren.«
»Gut, danke.« Mirko schaltete herunter und bog in eine Nebenstraße ein. »Abkürzung.« Dann nahm er mein Handy und warf es mir
zu. »Falls Julian nachkommen will: Wir sind im
Casablanca
. Das kennt er bestimmt.«
Ich war unglaublich froh, als ich mein Handy in derHand hielt. Während ich unsicher Julians Nummer drückte und in meiner Hektik natürlich das falsche Knöpfchen erwischte, schaltete
Mirko den C D-Player ein.
»Wie gefällt dir der Sound?«
»Hm, gut«, sagte ich, noch einmal wählend.
»Ich hab ’ne Auswahl an CDs im Handschuhfach, guck mal, ob was dabei ist, was du gern hörst!«
Spielte Mirko jetzt den guten Freund? Oder durfte ich tatsächlich aufatmen, weil ich mich wieder in etwas hineingesteigert
hatte? Vielleicht war er einfach so übermäßig ungeschickt, wie ich ängstlich war? Aber hatte ich in diesem Urlaub überhaupt
jemals grundlos Angst gehabt?
Die Verbindung zu Julians Nummer wurde aufgebaut. Ich starrte auf mein Handy und biss mir im nächsten Augenblick vor Enttäuschung
auf die Lippe: Kein Netz.
»Klappt nicht?«, fragte Mirko mit einem Seitenblick. »Musst du’s gleich noch mal versuchen, wenn wir über die Kuppe da sind,
hier gibt’s überall Funklöcher.«
»Okay.« Ich drückte auf die Wiederwahltaste.
Mirko fuhr jetzt langsamer, kroch beinahe. »Was ich dir außerdem vorschlagen wollte: Du kannst auch bei mir übernachten. Nicht
in der Mühle, in einer kleinen, beheizbaren Jagdhütte, die zu unserem Grundstück gehört. Da bist du sicher und hast deine
Ruhe, auch vor Julian. Morgen früh fährst du dann ganz gelassen nach Hause.«
Immer noch das verdammte Funkloch! Was redete Mirko da?
»Das ist nett, aber ich denke, ich möchte das nicht.«
»Verstehe. Ich biete dir das ja auch nur an, weil ich so froh bin, dass du keine Vorurteile gegen mich hast und wirklich für
mich da bist. Du bist mein Zufluchtsmensch, Eva.«
»Was?«
»Ach, das hab ich mal irgendwo gehört.«
Das konnte nicht sein. »Zufluchtsmensch« war genau der Name, den ich dem Fuchs in meinem Tagebuch gegeben hatte. Ich
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