Schwindel
sondern nur dicht nebeneinandergestanden. Esra hatte direkt in die Kamera geblickt
und dem Fotografen die Zunge herausgestreckt.
»Siehst du? Die haben genau gewusst, dass ich Fotos mache.«
»Dein Vater und Alina sind gar nicht drauf.«
»Die waren da schon weg.«
Ich stutzte. »Wie: weg?«
Mirko schwieg.
Mein Herz schlug schneller. Betont langsam sagte ich: »Du meinst, die sind eben mal los, um sich ein Bier zu holen oder so …?«
Noch immer Schweigen. Mirkos Blick war dermaßen bedeutungsvoll, dass ich bereits ahnte, worauf er hinauswollte. Glauben aber
konnte ich’s nicht.
»Wie meinst du das: ›Die waren da schon weg‹?«
Mirko ließ sich Zeit mit der Antwort, spielte mit dem Zündschlüssel, als wolle er meine Spannung erhöhen.
Schließlich – ich begann schon nervös auf dem Sitz hin und her zu rutschen – fragte er: »Kann ich dir vertrauen, Eva?«
»Ja, natürlich.« So etwas sagt sich leicht, wenn man vor Aufregung und Neugierde zu platzen droht.
»Gut. Ich bin mir nicht sicher, weißt du. Mag sein, dass es ein Fehler ist, auf dich zu bauen. Normalerweisevertraue ich nämlich niemandem und komme damit gut zurecht. Aber einmal ist wohl immer das erste Mal, was?«
Komm zur Sache, Mirko!, hätte ich am liebsten gesagt. Er war aber so ernst, dass ich ihn nicht zu drängen wagte, sondern einfach
nur nickte.
»Diesen Brief habe ich heute gefunden.« Mirko zog einen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke. »Er ist von Alina.«
Obwohl ich erwartet hatte, dass es um Alina ging, wirkte ihr Name wie elektrisierend. Ihre Schrift, die ich von Lauras Geburtstagskarte
kannte, sprang mir sofort ins Auge.
Bernd
stand auf dem Umschlag. Schmetterlinge und Paradiesvögel umschwirrten den Namenszug.
»Ich gebe dir den, weil ich nicht weiß, an wen ich mich wenden soll. Am liebsten möchte ich ihn vergessen und verbrennen,
möchte abhauen und allein sein. Gleichzeitig wünschte ich mir, ich könnte mit jemandem reden. Kennst du das? Dieses Kippgefühl
zwischen Sehnen und Fürchten? Für mich ist Vertrauenfassen so, als müsste ich mich an der Hand eines anderen auf einem Baumstamm
über eine tiefe Schlucht führen lassen.« Mirko schmunzelte in sich hinein. »Weißt du, ich bin nicht schwindelfrei.«
Sein Gerede nervte. Es drängte mich danach, ihm den Brief einfach aus der Hand zu reißen. Aber ich spürte, dass ich aus Mirko
nichts mehr herausbekommen würde, wenn er den Eindruck hätte, dass es mir nicht um seine persönliche Gefühlslage, sondern
um Informationen im Fall Alina ging. Also bejahte ich.
»Das kennst du, stimmt’s?«
»Ja.« Ungeduldig. Obwohl es wahr war: Tatsächlich hatte ich mir lange Zeit jemanden gewünscht, der mich versteht, und mich
dennoch mit Händen und Füßen gegen eine Therapie gesträubt. Mit meinem Fuchs hatte ich dann einfach Glück gehabt. Ihn hatte
ich sofort gemocht. Vielleicht, fuhr es mir durch den Kopf, hatte Mirko auch einen Fuchs nötig.
»Ich weiß nicht, warum, Eva, bitte versteh das nicht falsch, es soll keine Anmache sein, aber ich würde diesen Brief niemandem
zeigen außer dir. Vielleicht darf ich das nicht sagen, aber ich finde, du bist anders als die anderen. Ich fühl mich dir nah,
so was wie seelenverwandt.«
Das unerwartete Kompliment tat gut, selbst jetzt, da ich vor Neugier wie auf heißen Kohlen saß. Dennoch stutzte ich. So gut
kannten Mirko und ich uns nicht, dass er das behaupten konnte. Andererseits: Hatte ich nicht vor ein paar Stunden das Gleiche
empfunden?
Er reichte mir endlich den Umschlag. Auf dem Briefbogen stand nur ein einziger Satz:
Sehen wir uns nachher am Treffpunkt?
Ich pfiff durch die Zähne. Sieh an: Bernd und Alina! Mir war ihre Vertrautheit ja schon auf den Fotos aufgefallen. Hatten
sie ein Verhältnis miteinander gehabt? Hatte Mirko darauf angespielt, als er vorhin ausdrücklich im Plural von den heimlichen
Liebespärchen sprach? Wenn nun Alina Dienstagnacht mit Bernd Vollmer im Wald bei der Ruine gewesen war!
»Weißt du, was das bedeuten kann?«, fragte ich Mirko.
»Natürlich. Sie hatten eine heimliche Affäre.«
Ich sah Bernd Vollmer vor mir: sportlich und gut aussehend. Wenn man dazu noch die gleichen Interessen hatte, war er sicher
nicht unattraktiv. An sich war nichts dagegen zu sagen. Bis auf die Tatsache, dass Alina tot war.
»Und jetzt?«, fragte ich Mirko. »Er ist dein Vater.«
Mirko schluchzte auf. »Deswegen ja! Du musst mir helfen!«
Ich war perplex. Hatte
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