Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
starrte ihn an.
„Geh!“, zischte der Mann. Dann schrie er sie an. „Geh! Geh! Geh! Geh! Lauf! Renn! Schnell!“
Eine steinerne Hand stieß sie durch den Spalt. Während dieser sich hinter ihr schloss, hörte sie noch die panischen Worte:
„Vergiss Clarissa nicht!“
Kapitel 43
D er Wolf war muskelbepackt , sein Torso fast quadratisch. Es war so gar nichts an ihm, das an einen netten Hund erinnerte. Er flitzte bergan; absolut geräuschlos und unausweichlich.
Ian stand reglos, wollte der Bestie nicht den Rücken zudrehen und weglaufen. Es würde ohnehin nichts nützen. Man konnte einem Wolf nicht davonlaufen. Schon gar nicht bergauf.
Von allen Dingen, die bislang schiefgelaufen waren, war dies bei Weitem am unfairsten. Magier trugen zumeist keine Waffen. Meister brauchten gemeinhin keine, und die Aufgabe von Akolythen war es, mit dem Allerwertesten in der Bibliothek zu sitzen und sich Wissen in die Köpfe zu stopfen. Man empfahl ihnen allenthalben, gefährlichen Situationen aus dem Wege zu gehen.
Das war jedoch so gar nicht eins von Ians Talenten. In Zukunft würde er nie mehr ohne Waffe ausgehen. Nur hatte er keine, keine Waffe und auch keine Zukunft.
Ein Schwert wäre jedoch gerade wirklich gut zu haben, so eines wie das, das Ians Vorfahren in ihrem Kampf gegen die Engländer geschwungen hatten.
„Claymore!“, brüllte Ian in guter schottischer Tradition und hoffte, allein dieser Schlachtruf würde seinen Händen irgendwelche Stärke verleihen. Er stellte sich vor, diese Hände wären nicht leer. Er dachte an seinen Urururgroßvater, wie er ihn von dem martialischen Gemälde in Erinnerung hatte, das das Heim seiner Eltern zierte. Der Vorfahr schwang darin ein Breitschwert von einigermaßen übertriebenen Dimensionen. Dass sie übertrieben waren, wusste Ian, weil das Schwert selbst in der Eingangshalle seiner Eltern hing und vergleichsweise harmlos aussah.
Er kopierte die Haltung seines Vorfahren und konnte fast den Wind der Highlands und das Gewicht der Waffe in seiner Hand fühlen. Er hob den Schwertarm und schrie seinem animalischen Gegner trotzig seinen Kriegsruf entgegen:
„McMullaaaaaaan!“
Der Wolf hatte ihn nun beinahe erreicht und blickte ihn einen Moment lang konsterniert, ja beinahe beleidigt an.
Dann war er verschwunden. Ian blinzelte überrascht. Hatte er das bewerkstelligt? Und wie nur?
Er sah auf seinen Schwertarm, der immer noch leer war. Er war in die für einen Gentleman übliche dunkle Kleidung gewandet. Etwas nass vom Regen, ziemlich schmutzig von der Reise, aber nirgendwo ein Karo, das frei und fröhlich im Wind flatterte.
Doch irgendetwas hatte sich verändert, etwas das Ian nicht näher deuten konnte. Hatte sich die Welt erneut zur Seite gedreht?
Er merkte, dass er sein Pendel hatte fallen lassen. Er hob es auf und wischte es vorsichtig ab. Er musste besser darauf Acht geben. Seine Entscheidung, einen Salzkristall als Gewicht zu nehmen, hieß, dass er ihn tunlichst trocken halten musste. Er hielt den Salzkristall in der Linken. Er gab ihm Trost. Salz bedeutete Leben. Salz war Teil von ihm.
Dann hockte er sich nieder und berührte den Grund mit seiner Rechten. Der Fels war nicht der übliche graue Granit. Er war viel zu weiß dafür. Auch meinte Ian, ein Szintillieren und Vibrieren spüren zu können, als wäre der tote Fels auf einmal aktiv geworden. Ians Vorgesetzte an der Loge würden dieses Material sicher gerne verwenden, denn es war reiner Quarz.
„Sehr seltsam.“
Natürlich gab es keinen Grund, warum es in dieser fremden Welt nicht ein anderes Gestein geben sollte. Tatsächlich hatte Ian diesen weißen Stein auch schon drüben vereinzelt gesehen. Vorsichtig hob er einen losen Brocken hoch und drehte ihn in seinen Händen.
„Oh, verflucht!“, schimpfte er, als er vom Boden hochblickte und sah, dass die Tür in der Hütte sich erneut öffnete, um den exakt gleichen Wolf in exakt dem gleichen Bewegungsmuster herauszulassen. Alles schien sich zu wiederholen.
Was genau hatte er noch das letzte Mal getan?
Er versuchte, sich wieder auf seinen Vorfahren zu konzentrieren, doch der Gedanke war nicht mehr neu und unverbraucht. Er streckte seine Hand aus, als hielte er ein Schwert.
Doch diesmal konnte er es nicht spüren. Seine Vorstellungskraft reichte nicht aus. Es gelang ihm nicht, seine Gedanken mit der gleichen Intensität auf die Welt zu projizieren, denn er war nicht mit ganzem Herzen dabei. Er hatte geglaubt, schon gesiegt zu haben. Offenbar hatte er sich
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