Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Sandpapier.
Er war auf dem Rücken gelandet. Am grauen Himmel über ihm rührte sich kein einziger Vogel. Die Raben fehlten. Nicht dass er sie wirklich vermisste, doch ihre Abwesenheit war seltsam deutlich, als wären sie mit etwas anderem beschäftigt.
Aus dem Augenwinkel heraus sah er eine Bewegung.
„Oh, nicht schon wieder! Verdammt!“
Diesmal rannte der Wolf den Hügel hinab auf ihn zu. Das machte ihn noch schneller.
„Verwandlung ist möglich“, redete Ian sich ein. Er hatte es schon geschafft. Na ja, irgendwas hatte er geschafft. Wenn man weder von der Ursache noch von der Wirkung verlässliche Daten hatte, konnte man sich nur auf sein Glück und das Schicksal verlassen. Ian glaubte nicht wirklich, dass er besonders mit Glück gesegnet war.
Was das Schicksal anging, so rannte es gerade sehr schnell auf ihn zu. Ian sah sich nach einer Waffe um. Doch da war nichts.
Also würde er vermutlich jetzt doch noch sterben.
„Stein!“, rief er. Die Kreatur ignorierte ihn.
„Schwert!“, versuchte er noch mal, doch wieder machte das Tier nicht den Eindruck, als hätte es ihn gehört. Drei Sprünge war es noch entfernt. Zwei. Ian hätte längst aufstehen sollen. Doch wozu? So oder so war er verloren.
Der Wolf sprang ihn direkt an. Sein Schatten fiel auf Ian wie ein Schwarm …
„Raben!“, brüllte er, und sein ausgestreckter Finger berührte filzigen Pelz. Und dann Federn. Und dann nichts. Hatte er sich die Berührung nur eingebildet?
Der Schatten über ihm wurde zur Wolke und löste sich dann in einzelne schwarze Schemen auf, die wütend krächzend von dannen flogen. Die Welt pulsierte.
Diesmal zögerte Ian nicht. Er ignorierte seine Blessuren, sprang auf und rannte auf die Hütte zu. Vielleicht würde er dort ankommen, bevor der Wolf sich rematerialisierte. Vielleicht gab es dort eine Waffe, ein Küchenmesser oder eine Mistgabel – irgendetwas!
Er hatte gerade mal die Ecke des Gebäudes erreicht, als die Holztür sich wieder öffnete und das Ungeheuer erneut hervorsprang. Wie schaffte das Tier es eigentlich, die Tür zu öffnen? Und warum musste es so verdammt nah sein?
Verstecken war nicht möglich. Die Silberaugen hatten Ian bereits erfasst, und der Akolyth hatte immer noch keine Waffe, stand hilflos neben der halb verfallenen Holzkonstruktion. Er griff mit seinen Fingern in die alten Bretter, in der Hoffnung, ein scharfes Stück lösen zu können, um sich damit zu verteidigen. Doch das Holz gab nicht nach.
„Holz!“, murmelte er. Der Wolf setzte zum Sprung an.
„Holz!“, brüllte er, weil ihm so gar nichts anderes einfiel.
Der Baum schlug ihm mit seinen plötzlichen Ä sten ins Gesicht. Es war eine alte Kiefer, hoch und majestätisch. Ian brauchte ein paar Augenblicke, um sich aus der nadeligen Umarmung zu befreien und um den Baum herum zum Hütteneingang zu laufen.
Er hatte keine Muße, darüber nachzudenken, warum er in dieser Welt diese besondere Fähigkeit zu haben schien. Das Warum war auch letztlich uninteressant. Er musste es ausnutzen. Vielleicht konnte er das Ungeheuer ja in etwas verwandeln, mit dem man vernünftig reden konnte, sodass sie mit diesem tödlichen Ringelreihen aufhören könnten.
Er hörte den Baum hinter sich, wie er sich reckte und streckte. Schon klang es nicht mehr nach Wind in den Ästen. Da war es wieder, das Monster, nur ein paar Schritte hinter ihm.
Er wirbelte herum und starrte die knurrende Bestie an.
„Mensch!“, schrie er.
Der Wolf änderte sich erneut, und die Hoffnung auf eine vernünftige Unterhaltung verging in der Bewegung eines Krummsäbels, der auf Ians Hals herunterfuhr.
Kapitel 44
K onstanze fiel eine ganze Weile , als hätte jemand sie von einer Klippe gestoßen. Sie fiel und fiel.
Wenn man den langen Sturz bedachte, so kam sie relativ glimpflich auf dem Boden auf. Sanfter, als sie es befürchtet hatte. Blätter und Moos fingen ihren Einschlag ab. Es war ein wenig, als wäre sie auf eine Matratze gestürzt.
Es trieb ihr dennoch den Atem aus den Lungen.
Sie lag reglos da, wie tot. Tatsächlich fühlte sie sich tot. Sie wünschte sich, tot zu sein, oder doch wenigstens frei von irgendwelchen Gedanken. Doch nach ein paar Sekunden bestürmten sie Fetzen von genau dem, von Gedanken, von Gefühlen, von Schrecken, vom Nachhall einer Stimme. Erinnerungen an tote Farben, an Berührungen, sanfte wie unsanfte, fielen über sie her.
Sie krallte ihre Finger ins Moos. Es war das Einzige, zu dem sie im Moment imstande war. Sie fühlte sich wie
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