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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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kroch rückwärts von ihm fort. Er würde sie erneut angreifen, wenn es ihr nicht gelang, ganz schnell davonzukommen. Sein Gemüt strahlte Mordlust aus; es war so ein vertracktes Ding, schwärzer noch als die Raben.
    Blut sprühte über den Boden, als der große Vogel mit gebrochenen Schwingen fiel. Blut lief auch über das Gesicht des Mannes, dort wo der Vogel es verletzt hatte.
    Wenn es ihr doch nur gelänge, aufzustehen und fortzurennen! Doch die Welt war langsam geworden, und jede Bewegung schien ewig zu dauern. Und wohin sollte sie schon laufen? Wäre sie überhaupt schneller als ihr brutaler Angreifer? Es war ja nicht so, dass man jungen Damen empfahl, rasches Fortkommen zu trainieren. Auch war hier nirgends Hilfe zu finden, es gab kein nahes Dorf. Es gab nichts. Nur ihn.
    Ein zweiter Rabe startete seinen Angriff auf den Mann, und er brüllte vor Wut. Clarissa blickte sich um. Allzu viele Vögel waren nicht mehr da. Sie würden den Kerl nicht lange aufhalten.
    Sie stand jetzt auf wackligen Beinen und wandte sich um, um davonzulaufen. Ein schmerzhaftes Schluchzen ertönte von dem kleinen Mädchen.
    „Komm schon!“, rief Clarissa. „Wir müssen jetzt weg!“
    Doch die Kleine war zu benommen, um loszurennen. Und Clarissa war zu besorgt um sie, um sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Anstatt wegzurennen lief sie zu ihr und versuchte, sie hochzuziehen.
    Ein weiterer Vogel krächzte zum letzten Mal, und blutige Federn und Fetzen regneten auf den Boden. Die Zeit wurde knapp.
    Nun flogen zwei Vögel etwas halbherzig Kreise um den Mann und versuchten, ihm dabei nicht allzu nahe zu kommen. Der Kerl zog blitzschnell seinen Mantel aus und versuchte, seine Gegner damit niederzuschlagen.
    Das Mädchen war schwerer, als Clarissa gedacht hatte. Kaum war sie auf den Füßen, stolperte und fiel sie schon wieder und zog Clarissa mit sich hinab. Clarissa wurde panisch vor Angst.
    „Wir müssen los!“, rief sie und wieder kämpften sich beide auf die Beine. Wohin sollten sie rennen? Der große Baum, unter dem Karreg sie untergebracht hatte, war fast der höchste Punkt kilometerweit. Der Hügel selbst war nicht so hoch, und von dessen Gipfel sah man nur menschenleere Landschaft.
    Clarissa zog das Mädchen an der Hand. Sie spürte den wütenden, aber selbstsicheren Blick des Mannes auf sich. Er hatte keine Zweifel, dass er sie zu fassen bekam. Clarissa zweifelte auch nicht daran.
    Doch wenigstens versuchen musste sie es.
    Er sprang sie mit einem Wutschrei an. Beide Mädchen stürzten wieder zu Boden. Die Vögel hackten ihm in den Rücken, und er schrie vor Zorn. Er hielt jetzt ein Messer in der Hand, das die Luft durchschnitt. Die Vögel gingen auf Abstand. Allzu viele konnten nicht mehr übrig sein. Dabei waren es so viele gewesen, bevor die meisten mit Karreg verschwunden waren. Vielleicht waren sie auch nie dagewesen. Und vielleicht geschah das alles ja gar nicht.
    Der Gedanke etablierte sich ungebeten in Clarissas Kopf, und sie versuchte, ihn fortzuschieben, aus Angst, sie würde in ihre Gedankenfalle treten und hilflos sein. Ihr war kalt. Unter dem Baum war es warm gewesen.
    Sie hätte den Baum nie verlassen sollen. Er war hier ihre einzige Zuflucht.
    Sie stellte fest, dass das kleine Mädchen inzwischen sie zog und nicht mehr umgekehrt. Sie sollte rennen.
    Doch es war so sinnlos. Und ihr wurde immer kälter. Wenn sie nur aufhören könnte, auf diesem eisigen, weißen Fels zu laufen. Wenn sie nur fliegen könnte!
    Sie stieß sich ab und schnellte hoch, aufwärts gen Himmel, versuchte, mit einem Arm wie mit einem Flügel zu schlagen und wurde doch durch das Gewicht ihrer kleinen Gefährtin hinabgezogen, die immer noch ihre andere Hand festhielt.
    Einen Augenblick lang war sie sich sicher gewesen, fliegen zu können. Nun lag sie wieder auf dem Boden und versuchte, nach der harten Landung zu Atem zu kommen.
    „Schnell“, rief nun das Mädchen, als ob sie gerade die Rollen getauscht hatten. Dann schrie sie: „Tante Kath!“
    Doch hier war nirgends eine Tante.
    Clarissa stimmte in das Geschrei mit ein.
    „Fräulein Vanholst!“ Auch die war nicht da.
    Die Raben umflogen die Szene nun aus größerer Entfernung. Der Mann blickte von ihnen zu den Mädchen und sammelte seinen Zorn um sich, während Blut ihm aus einem guten Dutzend Wunden übers Gesicht lief. Clarissa rappelte sich wieder hoch, wankte und stolperte zurück in Richtung Baum, als wäre das der einzige Ausweg, den sie noch wahrnehmen konnte. Die Wirklichkeit

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