Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
verwirbelte um sie, und sie hatte Angst vor dem, was gleich kommen würde. Sie versuchte, die inneren Nebel zu bekämpfen, die sich bereits über ihren Geist legten. Doch wie immer waren die Nebel stärker. Gleich würde sie hilflos dahinsinken und nicht einmal wissen, was dieser Mann mit ihr machen und ob sie jemals wieder lebend erwachen würde.
Er hatte sie nun fast erreicht und knurrte wie ein wildes Tier. Clarissa warf sich an den Baum und umklammerte dessen scharfnadelige Äste.
„Hilfe!“, schrie sie. „Karreg!“
Kapitel 51
D ie Stimme der alten Frau war verschwunden. Der Wolf war auch fort. Das kleine Haus hatte sich in Luft aufgelöst.
„Was hast du getan?“, fragte eine wütende Männerstimme, als ein Schwarm Vögel direkt vor Ian landete.
„Ich habe doch gar nichts gemacht“, entschuldigte sich Ian eilig, wie so oft. Diese Frage hatte ihn sein ganzes Leben begleitet. Manche Dinge schienen sich nie zu ändern. „Was hast du wieder angestellt, Junge? Gar nichts, Ehrlich.“
Er erkannte die Kreatur. Diesmal war der Mann näher, verschwand nicht dauernd im Schatten der Bäume. Er sah fast real aus, scharfgesichtig, dunkeläugig, hakennasig – und schon flatterten Vögel auf und landeten etwas weiter entfernt.
Dort stand er nun. Sein Gesicht sah etwas weniger streng aus, doch seine Ausstrahlung hatte sich mehr verändert als sein tatsächliches Aussehen. Menschlicher. Weniger vogelartig.
„Du musst irgendetwas getan haben!“
„Ich weiß aber nicht, was!“
„Du musst damit aufhören! Du hast sie fast umgebracht. Ich – habe sie fast umgebracht – wegen dir.“
„Sie? Wen denn?“, fragte Ian. „Wie denn? Wieso ich?“
Diesmal bewegte sich die Welt, während der Vogelmann reglos blieb. Er gab keine Antwort.
„Wären Sie vielleicht so freundlich, mir etwas genauer zu erklären, was Sie meinen?“, bat Ian. „Bitte? Ich verstehe nämlich nicht, was Sie mir sagen, und nachdem Sie jetzt da sind, können Sie mir vielleicht auch all das hier erklären …“
Wieder flatterte es. Nun war er hinter Ian, ganz nah. Er wirbelte herum.
„Könnten Sie das Geflattere bitte unterlassen?“
Der Mann ignorierte die Bitte.
„Du hast gesagt, du hättest eine Aufgabe“, sagte er stattdessen. „Bist du gut darin, Rätsel zu lösen? Dieses Rätsel ist gerade Teil deiner Aufgabe geworden.“
„Wie kitschig“, beschwerte sich Ian. „Mysteriöse Anspielungen sind wirklich etwas, ohne das ich gut auskommen kann. Wäre es nicht zur Abwechslung nett, wenn Sie mir einfach sagten, worum es bei alldem hier geht?“
„Das Leben ist nicht einfach.“
„Das Leben ist schwierig, weil wir es schwierig machen. Wir haben immer die Wahl, es auch anders zu halten.“ Ian versuchte, freundlich zu lächeln. „Nicht wahr? Als vernunftbegabte Wesen haben wir die Wahl.“ Er war sich durchaus bewusst, dass diese Aussage nicht nur eine vom Wunschdenken beflügelte Übertreibung war, sondern schon eine richtige Lüge. Der Mann lächelte ob seiner Naivität.
„Das Leben ist, was es ist. Wo immer wir wählen, bleiben uns die Konsequenzen. Mit diesen müssen wir leben – eine andere Wahl haben wir nicht. “
„Oh, da haben Sie zweifelsohne recht. Das Leben ist, was es ist. Doch ich favorisiere den direkten Weg. Sie haben Wissen. Ich brauche dieses Wissen. Die logische Konsequenz ist …“
„Du möchtest mein Wissen erwerben?“, fragte der Mann etwas zu süßlich.
„Weniger ‚erwerben ‘ als erhalten.“
„Du willst nichts dafür geben?“
„Ich hoffe doch, Sie werden es mir kostenfrei zur Verfügung stellen.“
„Warum sollte ich?“
„Warum nicht? Was kostet es Sie denn?“
„Die Kosten des Versagens sind immer hoch“, sagte die dunkle Kreatur. „Und Geheimnisse haben stets ihren Preis.“
„Doch die Wahrheit ist ein freies Gut.“
„Die Wahrheit ist eine praktische Unwahrscheinlichkeit. Und Freiheit nicht viel mehr als ein Konzept. Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte.“
Ian blickte um sich herum.
„Ganz offensichtlich ist diese Welt hier nicht so, wie sie sein sollte. Mögen Sie sie so, wie sie ist?“
„Nein!“
„Haben Sie sie so – konzipiert?“
„Gewiss nicht.“
„Nun, dann versteh…“
„Ich war einmal wie du. Voller mächtiger Worte, deren Bedeutung ich für mein hielt, um damit tun zu können, was immer ich für richtig hielt. Ich habe Dinge getan, weil ich sie tun konnte. Das Können erfüllte mich mit Stolz.“
Ian glaubte nicht, dass die
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