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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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hatte versprochen, Nahrung zu bringen, und ein Schwarm Raben war plötzlich von dort aufgeflogen, wo er eben noch gestanden hatte. Doch seitdem war er nicht wieder dagewesen.
    Einige Vögel waren bei ihr geblieben. Sie saßen in den Ästen des Baumes und blickten, wie sie fand, arrogant auf sie herunter. Gespräche ließen sich nicht mit ihnen anfangen. So richtig hübsch waren sie auch nicht, obgleich Clarissa eine Art intelligente Eleganz an ihnen feststellte, die sie zu schätzen lernte. Ihr Blick war beinahe weise und voller sturer Absicht. Sie sahen sie ein wenig irritiert und ein wenig schockiert an, weil sie so war, wie sie war.
    Doch sie war nie gewesen, wie sie sein sollte. Und bei dem Maßstab, den sie hier anlegten, hatte Clarissa ohnehin keine Chance zu bestehen. Sie war kein Vogel.
    Dennoch hatte sie Vögel immer gemocht. Sie hatte Fräulein Vanholst nie erzählt, dass sie ihren Gesängen lauschte und sich sicher war, sie zu verstehen. Solch eine Behauptung hätte ihre Lehrerin nur beunruhigt und zu nichts geführt als noch mehr gesunden Spaziergängen an der frischen Luft und Unterrichtssequenzen über Ornithologie.
    Was immer da gerade aus dem Himmel fiel, war jedoch kein Vogel. Zunächst hielt sie es für den Angriff eines Ungeheuers, dann begriff sie, dass es Menschen waren. Sie erkannte einen Geruch und revidierte ihre Meinung erneut: doch ein Ungeheuer.
    Noch bevor sie sein Gesicht im fallenden Dunkel erkennen konnte, wusste sie, dass ihr Feind sie gefunden hatte. Einen Augenblick lang wollte sie auffliegen und davonflattern, wie es die Raben taten. Doch die Vögel waren nicht weit weggeflogen, und sie wusste – denn Fräulein Vanholst hatte ihr das sehr nachdrücklich eingebläut –, dass sie nicht fliegen konnte.
    Der Mann aus ihrem schlimmsten Albtraum war nicht allein.
    Clarissa brauchte einige Augenblicke, um festzustellen, dass er keinen Komplizen dabeihatte, sondern ein Mädchen, das noch jünger war als sie selbst.
    Eben waren sie noch ein Durcheinander an Armen und Beinen. Doch der Mann war schnell. Er brauchte nur einen Augenblick, um sie zu erkennen, und schon ergriff er ihren Arm und hielt sie fest. Er tat ihr weh.
    Sie schrie und wehrte sich. Jetzt erst blickte der Kerl um sich und nahm seine Umgebung wahr. Er sah wütend aus. Und er sah etwas unordentlich aus. Vor allem aber sah er wild entschlossen aus.
    Dann schrie er kurz auf, als das andere Mädchen ihm ihn die Hand biss, während er versuchte, auch sie noch zu schnappen. Er drehte sie ein wenig und schlug nach der Kleinen, während Clarissa ihrem guten Beispiel folgte und ihn in die andere Hand biss.
    Ihr Kopf summte von dem Schlag, den er ihr quer übers Gesicht gab. Doch dafür hatte er erfreulicherweise das andere Mädchen aus dem Blick verloren. Es kroch gerade fort.
    „Lauf!“, rief Clarissa. „Hol Hilfe!“
    Wieder verlegte sich der Fokus des Mannes, diesmal auf das kleine Mädchen. Er sprang, und das Mädchen flog beinahe, als er es zurück an den Baum warf. Es schlug mit dem Kopf zuerst daran an und lag benommen unter den Ästen.
    Nun wandte er sich Clarissa zu. Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Knie waren wie aus Pudding.
    „Hilfe!“, jammerte sie, fand nicht einmal genug Stimme, um richtig zu schreien.
    „Dir werde ich schon helfen!“, lächelte er.
    Wo war er nur hergekommen? Erst jetzt drängte sich ihr die Frage auf, zusammen mit dem Gefühl, dass es wirklich unfair war. Womit hatte sie es verdient, dass so viel Pech sich ausgerechnet auf ihrem Haupt entlud?
    Doch diese Gedanken verblassten sofort gegenüber der Gefahr, die er darstellte. Was dieser Mann letztlich wollte, das konnte Clarissa kaum ergründen. Dass er sie angreifen, ihr unaussprechliche Dinge antun wollte, das war nur ein Teil dessen, was ihn ausmachte.
    Einen Augenblick später bückte er sich runter und ergriff ihre nackten Fußgelenke. Ihr Hemd zog sich nach oben, als sie auf ihrem Hinterteil über den Boden gezerrt wurde. Sie wehrte sich und schrie, und es gelang ihr, ihm mit der Ferse eins auf die Nase zu geben.
    Er fluchte laut, doch ließ sie nicht los. Vermutlich hatte sie ihn nicht schwer verletzt.
    Jetzt lehnte er sich vor. Und dann schrie er, als einer der Raben direkt in sein Gesicht flog, Schnabel und Krallen wie Waffen einsetzte gegen einen Feind, der um so vieles größer war.
    Immerhin schaffte es die flatternde Kreatur, den Mann abzulenken. Er ließ Clarissa los und warf die Arme hoch, um sein Gesicht zu schützen. Sie

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