Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
nun an zusammengewürfelter Einheit war, so hatte er doch immerhin seinen Überlebenswillen nicht eingebüßt. Vielleicht war das ja ein Grundinstinkt, den jede Kreatur hatte, Menschen, die Fey, Tiere und selbst Pflanzen.
Trotzdem bedeutete die Ankunft der Bruderschaft eine Komplikation, die er nicht miteingerechnet hatte.
Also hatte er wieder den gleichen Fehler gemacht. Doch es war so schwierig, die Fährnisse des Schicksals vorauszusehen. Die Zukunft verästelte sich wie die Zweige eines Baumes. Einige wenige Lebewesen verstanden die Kunst, aus diesen ausufernden Möglichkeiten die wahrscheinlichste zu erkennen. Doch ihm selbst war das Gefühl für das, was plausibel war, längst abhandengekommen. Was immer in der Zukunft lag, hing nur bis zu einem bestimmten Punkt von Wahrscheinlichkeit ab. Die Verwirbelungen des Chaos waren immer gut dafür, alles doch noch anders werden zu lassen.
Tatsächlich war er selbst kaum etwas anderes als ein Aspekt jenes wilden Chaos.
So war es nicht weiter verwunderlich, dass die Mönche der Bruderschaft ihn umbringen würden, so sie konnten. Doch sie würden mit gleicher Inbrunst jeden töten, der ihrer Idee von dem, wie die Menschheit zu sein hatte, nicht entsprach, und sie waren schon so nah dran, dass es im Ablauf der Möglichkeiten kaum noch Verästelungen gab.
Kapitel 70
K onstanzes Gedanken gingen drunter und drüber. Die Ereignisse überspülten sie wie eine Sturmflut, und sie hatte kaum Zeit, darauf zu reagieren.
Sie lebte. Der Preuße hatte sie nicht umgebracht. Er hatte sie auch nicht geschändet.
Warum der Wolf ihn aufgehalten hatte, war eine Frage, die sie nicht einmal näherungsweise beantworten konnte. Was sie wusste, war, dass der Wolf sich heulend am Boden wälzte, während der Schurke blutend davongaloppierte, so schnell es nur ging. Er hatte nur eines der Pferde genommen. Es war ihm in seiner Eile zu umständlich gewesen, die anderen auch mit fortzuziehen.
Er würde aber wiederkommen.
Sie setzte sich auf. Wieder war sie durchnässt und zerschlagen. Sie fühlte, wie Blut ihre Wange herunterlief, dort wo er sie mit der Pistole geschlagen hatte. Doch er hatte sie nicht besessen. Dafür war sie zutiefst dankbar.
Jetzt musste sie sich zusammenreißen und sich um den Magier und den Wolf kümmern. Das klang lächerlich, aber es kam ihr ganz natürlich vor. Sie war in einem der Grimm’schen Märchen gelandet, und so konnte man ihre Situation vermutlich im wahrsten Sinne des Wortes als grimmig bezeichnen.
Sie kroch zum Magier hinüber. Seine Jacke war blutverschmiert, aber er atmete regelmäßig. Sie öffnete ihm die Jacke. Seine Schusswunde musste verbunden werden. Und dann war da ja auch noch die Bisswunde.
Sie mussten hier weg, und zwar schnell. Der Preuße konnte jederzeit zurückkommen. Vielleicht holte er ja die Mönche. Wenn ihn sein Weg von Clarissa zu den Mönchen hier entlang gebracht hatte, würde er auf dem Rückweg wieder vorbeikommen.
Am liebsten hätte sie vor Frustration losgeschrien.
Eins nach dem anderen. Erst einmal dem Magier helfen. – Und was war mit dem Tier los?
Es hatte aufgehört herumzurollen und lag nun einfach flach da und jaulte leise. Sie konnte sehen, dass ihm die Spitze des Ohres fehlte, der Rest hing blutig herunter. Sie hatte gehört, dass wilde Tiere noch gefährlicher wurden, wenn sie verwundet waren.
Doch darüber nachzudenken, hatte wenig Sinn. Sie hatte ohnehin keine Waffe, mit der sie sich hätte verteidigen können. Also blieb ihr gar nichts anderes übrig, als dem Tier zu vertrauen. Es war auf alle Fälle weniger bestialisch als der Mensch, der eben davongestoben war.
Sie brauchte eine Weile, um sich auf die Füße zu quälen. Ihr zitterten die Knie, und als sie endlich stand, bebte sie am ganzen Körper.
Stoff. Sie brauchte Stoff, um die Wunde zu verbinden. Sie stellte fest, dass sie leise jammerte, als sie das Unterkleid ergriff, das sie schon als Verband vorgesehen hatte. Sie zerriss es mit den Zähnen.
Dann kniete sie sich neben den Magier, fiel mehr, als dass sie sich niederließ, denn ihre Glieder schienen sie kaum zu halten.
Sie öffnete ihm das Hemd. Sein Blut war klebrig und besudelte ihre Hände. Wie behandelte man Schusswunden? Sie wusste es nicht und focht eisern die aufkeimende Panik nieder.
„Mr. Sutton?“, murmelte sie leise. Am liebsten hätte sie ihn wachgeschüttelt, doch sie wollte ihn nicht noch schwerer verletzen. „Mr. Sutton! Bitte wachen Sie auf!“
Konnten Magier sich selbst
Weitere Kostenlose Bücher