Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
umzubringen.
Kapitel 76
I an war sich nicht sicher , ob er tatsächlich das Bewusstsein verloren hatte. Seine Wahrnehmung hatte sich in die Länge gezogen wie ein sommerlicher Abendschatten. Ein schweres Gewicht presste ihn nieder, während er aufwärts in den Himmel fiel. Er hielt sich verzweifelt an dem Gedanken fest, dass die Tritte ihn nicht gut umgebracht haben konnten.
Schreie begleiteten ihn wie die Stimmen der Verdammten. „Was geschieht da? Tun Sie etwas! Halten Sie ihn auf!“
Eine Hand packte seinen Arm. Er spürte, wie der Griff durch seinen Knochen ging, als ob der gar nicht da wäre.
Er schlug auf felsigem Boden auf, kam bäuchlings auf Steinen zu liegen, die er erkannte, noch bevor er sie sah. Weißer Quarz.
Er war der Bruderschaft entkommen. Das konnten nicht viele Menschen von sich behaupten. Er sollte also glücklich sein.
Vielleicht aber auch nicht.
Er bemerkte, dass er immer noch die Augen geschlossen hatte. Keine gute Idee. Mit schierer Willenskraft zwang er sich, sie langsam zu öffnen und fand sich da wieder, wo er nicht hatte sein wollen: in jener Anderwelt, in der mörderische Spukgestalten vermutlich schon lange nicht mehr so viel Training gehabt hatten wie mit ihm.
Diesmal war er direkt auf dem Gipfel des Hügels gelandet, wie auf einem Opferaltar. Die Welt drehte sich langsam um seine Position. Er sah hinunter auf die Ebene mit dem seltsam nahen Horizont. Die Nebel drifteten näher. Wabernde Silhouetten manifestierten sich und verschwanden dann wieder an den weißen Rändern.
Ian konnte sich gut vorstellen, wer oder was sie waren. Zu sehen wie sie langsam näher kamen ließ die Erleichterung, die sein Entkommen von der Bruderschaft sonst hervorgerufen hätte, ganz schnell verschwinden. Vom Regen in die Traufe.
Das Gewicht, das er auf seiner Reise auf sich gespürt hatte, stellte sich als Buch heraus. Wunderbar. Jetzt hatte er also ein Buch – stand aber kurz davor, von Kreaturen aus dem Nebel gejagt zu werden.
Er stöhnte vor Schmerz, als er sich in eine sitzende Position emporzwang, um sich umsehen zu können. Das kleine Haus war nirgends zu sehen. Er kam immer mehr zu der Überzeugung, dass es sich nur vorübergehend manifestiert oder gar nie existiert hatte. Doch in einer Gegend, in der Zeit etwas eher Zufälliges war und die Existenz an sich, also ob man tot war oder lebte, sich auch willkürlich ändern konnte, bedeutete das alles sehr wenig.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Nebelschwaden den Fuß des Berges erreichten, um von dort aufwärts zu kriechen und seinen Bereich immer weiter einzuschränken. Schließlich würden alle Wesen, denen er hier begegnet war, wieder da sein, um das zu beenden, was sie angefangen hatten.
Er selbst konnte herzlich wenig ausrichten, solange ihm immer noch die Hände gebunden waren. Er wand sich in den Fesseln. In einem Kampf wären sie sehr im Weg. Er biss an den Stricken herum und spuckte Fasern. Es dauerte eine Ewigkeit, dann lösten sich die Bande nach und nach.
Dennoch konnte er nichts tun, außer die nächste Feder zu werfen und zu hoffen, dass sie ihn zurück in die Realität bringen würde, vorzugsweise nicht wieder zu der Fraternitas Lucis.
Bislang hatte ihm die Funktionsweise der Federn allerdings gezeigt, dass ihre Macht, ihn von hier wegzubringen, begrenzt war und dass er immer wieder hierher zurückgezogen würde.
Er entschloss sich, die Feder nicht gleich auszuprobieren, sondern sie als letztes Mittel zu behalten. Wenn er zu früh agierte, würde er vielleicht just in dem Moment hier wieder ankommen, wenn der Nebel den Gipfel einnahm.
Das wäre ihm gar nicht lieb.
Er nahm das Buch auf. Da er ohnehin nicht viel anderes tun konnte, entschloss er sich, es zu lesen.
Das stellte sich als gar nicht so einfach heraus. Die Schrift war verschlungen, die Tinte mit der Zeit verblasst. Die Sprache war Latein, versetzt mit anderen Schriftzeichen, die ägyptische Hieroglyphen und sumerische Keilschrift sein mochten. Die Aroria-Loge hatte diese Sprachen lange vor der akademischen Welt entziffert, und so wurden sie den angehenden Magiern beigebracht. Leider nicht den Primanern.
Latein allein, so fand er bald heraus, reichte nicht aus, um das Manuskript vollends zu verstehen. Abgesehen von den anderssprachigen Einfügungen schien auch der lateinische Text sorgfältig kodiert zu sein, als müsste man den Kontext bereits wissen, um den Inhalt zu begreifen.
Doch er hatte keinen Kontext und würde diesen nach und nach aus dem
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