Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
verstanden. Mehrere Generationen Männer hatten es verfasst und immer vom Vater an den Sohn weitergegeben, zusammen mit einem wirklich hässlichen Fluch. Die Männer zeigten die Tendenz, sich in Wölfe zu verwandeln.
Bei der Transformation von Mensch zu Tier hatten die verwandelten Menschen zumeist wenig Einfluss darauf, was mit ihnen geschah. Die Logen hatten solche Verwandlungen immer wieder versucht. Allein der Erfolg blieb im Bereich der Sage.
Der Werwolf-Mythos war alt. Alte Mythen waren meist lokal gebunden, und unterschiedliche Überlieferungen und Interpretationen klafften weit auseinander. Vielleicht gab es eine sie verbindende Gemeinsamkeit. Insgesamt gehörte das Resultat daraus allerdings in den Bereich des Aberglaubens.
Doch Fakt blieb auch, dass ein Wolf bei Sutton gewesen war, während sein Gegenstück hier sein Unwesen trieb.
„Was hast du nur getan?“, murmelte Ian, erwartete jedoch keine Antwort. Der Rabenmann war nicht in der Nähe, und Ian war sich sicher, dass er derjenige war, den er das fragen musste.
Gestaltwandler waren unter den Fey etwas gänzlich Normales, unter den Menschen aber sehr rar. Ian wollte nicht vollständig ausschließen, dass ein wirklich mächtiger Meister des Arkanen seine Gestalt tatsächlich verändern konnte. Doch es wäre weitaus weniger gefährlich, einfach nur die Wahrnehmung der Betrachter zu verändern.
Der Rabenmann allerdings wandelte tatsächlich die Gestalt, schien nicht nur andere etwas sehen zu lassen, indem er das Denken manipulierte. Ian fühlte, dass dem Wesen eine endgültige Definition dessen, was es war, fehlte. Es war ein Konglomerat verschiedener Aspekte.
Ian fiel beinahe rückwärts, als ein Nebelschleier sich plötzlich bis hin zum Gipfelpunkt streckte. Das war allzu nah gewesen. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen.
Langsam drehte er sich auf dem Gipfel und blickte hinab in die Gefahr. Die weiße Luft bewegte sich zielgerichteter, als man das von Luft erwarten sollte. Sie war beklemmend lebendig und doch auch wieder beängstigend tot. Wenn er jetzt einen Fehler machte, würde er Teil davon werden.
„Rabenmann!“, rief er und wünschte, er hätte geschwiegen, denn sogleich streckten sich weiße Schlangenarme nach ihm aus.
„Du hast das ganz schön versaut hier!“, murmelte Ian und meinte damit den abwesenden Rabenmann genauso wie sich selbst.
Er hielt die Feder in der Hand und betrachtete sie mit all den Sinnen, die ihm zur Verfügung standen. Wenn man sie mit mehr als nur den Augen ansah, konnte man einen gewissen Glanz erkennen. Das Pfand trug seine eigene Magie in sich. Es war ein Schlüssel.
Das war ziemlich mächtige Magie. Doch schließlich war der Mann, wenn Ian richtig lag, ein Meister des Arkanen gewesen – was von ihm noch übrig war.
Verzauberte Gegenstände, die Wünsche erfüllten, gehörten jedoch traditionell in den Wirkungskreis der Fey. Ian kannte nicht viele Fey. Doch niemand kannte viele. Wenn die Fey etwas gemein hatten, dann dass ihnen das Wohlergehen der Menschen weitgehend egal war. Sie waren gemeinhin so alt und erfahren, dass ihnen menschliches Leben wie das von Eintagsfliegen vorkam, die einem lästig sein mochten, aber bald Vergangenheit sein würden und ohnehin leicht zu beseitigen waren.
Diese Tendenz manifestierte sich auch beim Rabenmann. Somit war er vermutlich mehr als nur ein Meister des Arkanen.
Doch er war auch nicht nur ein Feyon, denn ab und zu war er eben auch noch ein Schwarm Raben.
Passagen aus dem Buch ordneten sich in Ians Gedanken. Alles verstand er immer noch nicht. Doch ein paar Dinge waren erschreckend klar geworden. Das Erschreckendste war, dass diese Kreatur bei all der Magie, die sie beherrschte, ebenso wenig wie Ian in der Lage war, irgendetwas an der Situation zu ä ndern.
Der Rabenmann hatte Clarissa entführt. Vielleicht um sie zu schützen, doch das konnte nicht der einzige Grund sein, sonst hätte die Gouvernante das Mädchen schon zurück. Die menschliche Rasse war nicht besonders gut in Altruismus. Doch die Fey waren noch schlechter darin. Wenn man unendlich lange lebte und keine Gemeinschaft mit Gesetzen und Regeln kannte, machte einen das vermutlich ein wenig ichbezogen.
Ians Herz schlug laut in seiner Brust. Die Nebelschwaden rückten unaufhaltbar näher. Er blickte nach oben in den grauen Himmel, wo sich die Wolken bereits mit dem Nebel vereinigten. Direkt über ihm sah er etwas, eine Gestalt, die in der Luft auf dem Kopf stand, weit, weit entfernt.
Noch ein
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