Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
brach er das Schweigen.
„Dieser junge Mann, mit dem Sie Ihre Logis geteilt hatten – was ist eigentlich aus dem geworden?“
McMullens Gesicht zuckte einen Augenblick lang, als hätte man ihn dabei erwischt, wie er Kekse aus der Küche stahl.
„Treynstern? Ist nach Italien gegangen, um dort zu malen.“
Das klang plausibel. Künstler reisten scharenweise nach Italien. Tatsächlich quoll das Land vermutlich schon über vor lauter Staffelei tragenden Nordlichtern, die die einheimischen Mädchen schwängerten.
Ein Erinnerungsfetzen spülte aus dem Keller seines Gedächtnisses hoch. Ein großer junger Mann, vom Typ her der Schwarm aller Mädchenherzen.
„Wird er noch von der Polizei gesucht?“
Wieder zuckte es neben ihm. McMullen hatte die Frage offenbar nicht erwartet.
„Aber nein. Die denken, er ist tot.“
Natürlich. So war es gewesen. Den jungen Mann hatte man fälschlicherweise für einen Mörder gehalten, ihn zusammengeschlagen, wobei er fast gestorben war. Für die Polizei war er genau das. Seine wundersame Errettung hatte man tunlichst geheim gehalten. Sutton hätte sich gleich daran erinnern müssen, denn immerhin war er ja dabei gewesen.
„Haben Sie sich an meinem Gedächtnis zu schaffen gemacht?“ Das hatte er schon einmal gefragt, und auch diesmal würde die Antwort nicht anders ausfallen.
„Gewiss nicht. Sie wissen doch, dass ich diese Kunst nicht beherrsche. Habe sie damals nicht beherrscht und tue das heute genauso wenig. Müssen wir darüber reden? Ich dachte, Sie wollten mir das ersparen?“
„Ah. Da sind wir also wieder in der Sackgasse gelandet, und ich kann Sie die einfachsten Dinge nicht fragen, weil Sie behaupten, dass eine Auskunft Sie umbringen würde.“
„Würde sie auch.“ McMullen klang ausnehmend müde und ein wenig traurig. „Jedenfalls ist es gut möglich.“
Sutton seufzte.
„Ich weiß ja. Aber mögen muss ich es nicht.“
„Wissen Sie, Sutton, ich mag es auch nicht besonders. Ich finde ‚leben‘ tatsächlich ziemlich gut, während ‚sterben‘ meines Erachtens ausgesprochen überbewertet wird. Und ich bin dem Tod schon wirklich unerhört nahe gekommen. Es hat keinen Spaß gemacht.“
Sie ritten schweigend weiter. Nach einer Weile hielt Sutton an. Er holte tief Atem und ließ seinen Blick schweifen.
„Fühlen Sie es auch?“, fragte er.
„Irgendwas fühle ich. Aber was es ist? Eine atmosphärische Störung?“
„Atmosphärische Störungen gibt es nicht ohne Grund. Was fühlen Sie genau?“
McMullen glitt vom Pferd und befestigte den Zügel an einem Ast. Er zog seine Handschuhe aus, stopfte sie in die Tasche und stand nun da mit ausgebreiteten Händen. Sutton stieg ebenfalls ab und kümmerte sich um sein und das Packpferd.
„Nun?“, fragte er.
„Zu viel Sein“, gab McMullen zurück. „Der Ort hier scheint wie aufgeladen damit. Und es stimmt irgendwie nicht. Das Leben ist nicht so richtig … lebendig. Kalt.“
Sutton nickte nachdenklich und zog sein Pendel hervor. Er ließ es baumeln, ohne ihm einen Impuls zu versetzen. Nach kurzer Zeit schwang es hin und her, nicht im Kreis, sondern in eckigen Richtungswechseln, die – sollten sie ein Muster anzeigen – bestenfalls als sternförmig gedeutet werden konnten.
„Dieser Ort … hier spukt es.“
McMullen starrte ihn an.
„Gespenster?“
„Glauben Sie nicht an deren Existenz?“ Sutton grinste.
„Nein, eigentlich nicht. Oder zumindest habe ich früher nicht daran geglaubt, aber da habe ich ja auch nicht an die Existenz von Magie geglaubt. Wenn ich recht behalten hätte, dann wäre mein Leben wohl sehr viel einfacher gewesen.“
„Leben ist Energie. Da wo der Übergang von Energie von einer physikalischen Form in die nächste nicht richtig vonstattengegangen ist, mag man Spuren des ehemals Körperlichen finden. Meist ein Problem.“
„Sind sie – böse?“
„Das ist grundsätzlich möglich. Sie müssen es aber nicht sein. Es sollte mich freilich wundern, wenn sie eine für uns erkennbare Ethik akzeptierten. Alles, was sie zumeist noch haben, ist Bestimmung und Durchhaltevermögen – beides außerhalb eines lineartemporären Kontextes.“
Eine Weile standen sie reglos da.
Sutton betrachtete seinen jüngeren Kollegen und sah, wie dieser sich auf einmal konzentrierte, sich dem Rhythmus und der Struktur des Universums öffnete.
„Nicht!“, rief er. Der junge Mann fiel um wie ein Stapel Bücher. Sutton kniete sich neben ihn und rüttelte ihn an den Schultern.
„Verdammt noch
Weitere Kostenlose Bücher