Schwur des Blutes
verletzen.
Es gab nur eine Weise, seinem Problem mit diesem Halbblut beizukommen. Es lag wohl in der außergewöhnlichen Macht, die jemandem in die Wiege gelegt wurde, die vorherbestimmte, dass man diese nicht wider Willen an sich bringen konnte, sondern sie nur freiwillig übergeben werden durfte. Das war so bei dem Diamantring und seiner Mutter Lucinda gewesen und so würde es zweifellos auch bei Timothy und seiner Gabe sein.
„Ja, jetzt bist du fällig!“ Veyt schleifte Timothy über den Hof seines Sommersitzes in New Orleans. Obwohl er sich 1788 nach dem wunderbar verheerenden Brand geschworen hatte, nie wieder zu seinen Wurzeln zurückzukehren, hielt er sich seit 1919 dennoch zeitweise hier auf – wegen seines geheimen Schatzes, der ihm mehr Macht schenken würde.
Veyt führte ihn bis zum Waldrand mit Blick über die Küste des Golfs von Mexiko. Die bunten Zelte und der Weihnachtsschnickschnack verunstalteten die Natur, aber er hatte es so angeordnet. Das Gekreische der Gören ging ihm auf den Sack. Gott, was sehnte er die Stille herbei. Doch er wollte auf Nummer sicher gehen. Je mehr Kleinkinder, desto besser. Mit seiner Geduld war er am Ende.
Timothy verharrte wie ein riesiger Clown zwischen den spielenden Schulkindern, die von zwei Lehrern beaufsichtigt wurden. Veyt rief eine seiner ehemaligen Bettgenossinnen zu sich. Es kümmerte ihn nicht, dass sie sich hatte ausruhen wollen, weil sie kurz vor der Niederkunft stand. Ein paar der Diener, die er beobachtet hatte, wie sie Timothy selbstlos Blut eingeflößt hatten, weil dieser eher sterben als eine Gefahr darstellen wollte, bat er ebenfalls mental, am Weihnachtsfest teilzunehmen. Dann konzentrierte er sich. Es glich einer hohen Kunst, so viele Gehirne auf einmal zu manipulieren. Aber er wäre nicht Veyt Constantin, wenn er es nicht inzwischen zur Perfektion gebracht hätte.
Jeder gehorchte seinem Willen. Alle Anwesenden des von ihm organisierten vorweihnachtlichen Festes stellten sich im Halbkreis vor Timothy auf und hielten ein langes Messer in beiden Händen vor die linke Brustseite. Alle außer Timothy.
Veyt nahm die Hypnose von Timothy und kniete mit einem Messer vor dem Halbblut nieder. Die Demütigung, sich als Reinblut vor einem Halbblut niederzuknien, kostete ihn keinerlei Überwindung. Sein Wille war stärker als sein Stolz.
„Mr. Fontaine“, säuselte Veyt. „Sie allein haben die Gabe, den Kindern und Schwachen zu helfen. Sie werden sich umbringen! Oh, mein Gott.“
Timothys noch leicht benebelter Blick irrte über die Kinderschar, blieb an der Schwangeren hängen und an den still dastehenden Dienern. Das jüngste Kind stach sich ins Herz. Es riss stumm den süßen Mund auf, taumelte und brach zusammen.
„Nein!“, schrie Timothy.
Zwei weitere begingen Suizid. Veyt unterdrückte ein Grinsen. „So bitte, bitte, helft doch!“
Timothy wankte benommen auf das kleinste Mädchen zu. Blut quoll ihr aus der Brust, benetzte den trockenen Waldboden. Timothy fiel neben ihr auf die Knie.
Zehn weitere Sklaven seiner hypnotischen Macht rammten sich die Messer in die Herzmuskel. Das Halbblut brüllte vor Qual und öffnete sich die Handgelenksvene.
Unverzüglich ritzte Veyt sich tief in die eigene Hand. Gleichzeitig bannte er Timothys Gehirn brutaler, als er jemals eines niedergezwungen hatte. Er benötigte all seine mentale Kraft für diesen Vampir, der sich gegen seine lähmenden Fesseln zur Wehr setzte. Timothy besaß die größte Macht, die es gab. Bald würde sie seine Macht sein!
Ein einziger Gedanke brachte alle übrigen Anwesenden dazu, sich zu töten. Im selben Augenblick hechtete er auf Timothy zu, der wie erstarrt vor dem Mädchen kniete. Sein Blut tropfte in dicken, dunkelroten Tropfen in die tödliche Wunde in ihrem Brustkorb.
Veyts Chance, an das Blaue Blut zu gelangen!
Das plötzlich aufflammende eisblaue Flimmern nahm Veyt erst wahr, als er auf Timothys Aura krachte – die blutende Hand nach den Blutstropfen ausgestreckt.
Frost schockte Veyts Vampirkörper zu Eis. Diamantscharfe Eissplitter trafen ihn wie winzige Bomben, zersprengten seine Augen, zerrissen seine Gliedmaßen in der Luft. Eine eiskalte Explosion katapultierte ihn fort. Kreischender Schmerz ließ ihn im entfernten Ozean aufschlagen und ohnmächtig versinken.
Timothy erwachte. Er sollte schreien, toben, wimmern, doch er lag ganz ruhig da. Er hatte nicht getötet, weder Veyt noch die Kinder. Die Fürsten hatten recht behalten und Sam ebenso. Ein Schluchzen entrang sich seiner
Weitere Kostenlose Bücher