Science Fiction Almanach 1981
kommen wir da hinüber?“
„Das weiß ich noch nicht“, erwiderte ich und studierte eingehend die dahinrasenden weißen Schaumkronen. Weiter oben, etwa sieben Meter von der Stelle entfernt, an der wir uns versammelt hatten, hingen die dicken Zweige gewaltiger Bäume über die Stromschnellen hinweg. Etliche ihrer knorr i gen, ineinander verwobenen Wurzeln waren von den zerre n den Wassermassen freigelegt worden – und zwischen diesen Bäumen, etwa drei Meter oberhalb des Wasserspiegels, hing eine der seltsamen Schwingbrücken der Waldläufer.
Nicht einmal mir war es gelungen, die Schwingbrücken ohne Hilfestellung zu bedienen, denn die menschliche Armmuskulatur ist dem dazu nötigen Kraftaufwand nicht mehr gewachsen. Aber selbst wenn ich früher in der Lage gewesen wäre, die Brücke zu bedienen, stand dieses Thema jetzt – außerhalb einer Situation, die eine verzweifelte, letzte Entscheidung verlangte – nicht zur Debatte. Rafe oder Le r rys, die leicht gebaut waren und akrobatische Fähigkeiten besaßen, hätten sie vielleicht über ebenem Boden auf einem Sportplatz bewegen können; auf einem steilen und felsigen Berghang, wo ein Absturz gleichbedeutend damit war, daß man dreihundert Meter weit in einen Sturzbach gewirbelt wurde, standen ihre Chancen weniger gut. Die Schwin g brücke der Waldläufer kam für uns nicht in Frage. Aber welche Alternative hatten wir?
Ich wandte mich Kendricks zu, jenem Mann, dem ich mein Leben am ehesten anzuvertrauen bereit war, und sagte: „Der Strom sieht zwar undurchquerbar aus, aber ich glaube, daß zwei Männer, die sich auf den Beinen halten können, hindurchkommen könnten. Die anderen könnten uns für den Fall, daß wir umfallen, an Seilen halten. Wenn wir das g e genüberliegende Ufer erreichen, können wir ein Seil an di e ser Felsnase …“ – ich zeigte ihm, welche ich meinte – „ .. befestigen, und die anderen können sich daran entlangzi e hen. Diejenigen, die zuerst hinübergehen, werden die einz i gen sein, die ein Risiko auf sich nehmen. Wollen Sie es ve r suchen?“
Es gefiel mir, daß er mir darauf nicht sofort eine Antwort gab, sondern ein Stück am Ufer des Stromes entlanglief und den felsigen Untergrund prüfte. Es gab keinen Zweifel da r an, daß die sieben anderen uns wieder an Land ziehen kon n ten, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren sollten, aber es bestand immerhin die Möglichkeit, daß wir uns ve r letzten, wenn die Strömung uns gegen die Felsen schleude r te. Erneut nahm ich die schattenhaften, nur schwer zu erfa s senden Bewegungen im Dickicht wahr. Wenn die Waldlä u fer den Zeitpunkt abwarteten, wenn wir in der Mitte der Stromschnellen waren, würden wir ihnen ein ausgesprochen leichtes Angriffsziel bieten.
„Wir sollten versuchen, einen leichteren Weg zu finden, um das Seil auf der anderen Seite zu befestigen“, sagte Hjalmar und entnahm seinem Rucksack ein Reserveseil. Er rollte es auf, versah eines der Enden mit einer Wurfschlinge, ließ es über dem Kopf kreisen und warf es der Felsnase en t gegen, die wir uns als Fixpunkt ausgesucht hatten. „Wenn ich es hinüber bekomme …“
Das Seil landete kurz davor. Hjalmar zog es ein und u n ternahm einen erneuten Versuch. Drei erfolglose Würfe sp ä ter, die wir mit angehaltenem Atem verfolgten, legte die Schlinge sich schließlich um das ersehnte Ziel. Mit einer geschickten Bewegung zog Hjalmar die Schlinge fest. Wir sahen zu, wie sich das Seil oberhalb der Stromschnellen straffte. Der Knoten hielt und verfestigte sich. Hjalmar gri n ste und stieß befriedigt den Atem aus.
„Na bitte“, sagte er, zerrte am anderen Seilende und prü f te die Festigkeit, indem er mit aller Gewalt an der Leine riß. Die Felsnase gab mit einem harten Knirschen nach, zerbrach und fiel ins Wasser, während Hjalmar, der darauf nicht g e faßt gewesen war, strauchelte und beinahe den Boden unter den Füßen verlor. Der Felsbrocken verschwand mit einem lauten Aufklatschen in den Fluten und wurde von der Str ö mung schneller und schneller bergab getrieben, wobei er das Seil hinter sich her zog.
Eine Minute lang fiel uns nichts Besseres ein, als daz u stehen und ihm nachzustarren. Hjalmar stieß im kaum w i derzugebenden Dialekt der Bergbewohner einen schreckl i chen Fluch aus, und seine Brüder stimmten ihm zu. „Wie, zum Teufel, hätte ich ahnen können, daß der Felsen ausei n anderbricht?“
„Besser jetzt als in dem Moment, wo unser Leben von ihm abgehangen hätte“, sagte Kyla
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