Science Fiction Almanach 1981
che Möglichkeit, denn wenn ich überhaupt etwas über die Waldläufer wußte, dann dieses eine – daß man sie nicht nach menschlichen Standards beurteilen konnte. Ich ve r suchte mir auszumalen, was ich an ihrer Stelle getan hätte, aber mein Gehirn war im Moment nicht darauf eingestellt, ihr Selbstverständnis nachzuempfinden.
Ohne den geringsten Gedanken daran zu vergeuden, daß man uns möglicherweise beobachtete, hatten die darkovan i schen Brüder ein Feuer angezündet. Mir schien, daß die herrschende Moral und die Gelassenheit der zitternden Mannschaft im Augenblick von größerem Wert war als je g liche Vorsicht, und als ich am knisternden Feuer saß, spürte, wie meine nassen Kleider wieder trocken wurden, und aus einem Becher heißen Tee trank, erschien mir alles so, als hätten wir die richtige Entscheidung getroffen. Der Opt i mismus kehrte zurück. Kyla, die sich von Hjalmar ihre durch die Liane aufgeschürften Hände verbinden ließ, scherzte mit den Männern über ihre akrobatischen Kuns t stückchen.
Wir hatten das Lager auf dem Gipfel eines weit vorgel a gerten Ausläufers der Hellers aufgeschlagen. Der gesamte Bergrücken breitete sich vor unseren Blicken aus und ve r wandelte sich im Licht der untergehenden Sonne in ein g e sprenkeltes Farbmuster. Grün, türkis und rosa – die Berge waren noch schöner als in meiner Erinnerung. Die Anhöhe des hohen Bergrückens, den wir gerade erklommen hatten, hatte das wirkliche Bergmassiv vor unseren Blicken ve r sperrt, und ich sah, wie Kendricks Augen sich weiteten, als ihm klar wurde, daß der Gipfel, den wir gerade gemeistert hatten, nur den ersten Schritt auf dem Weg darstellte, der noch vor uns lag. Die Hauptwand ragte vor uns in den Himmel. Ihre tieferliegenden Hänge waren dicht bewaldet, die höheren dagegen wirkten mit ihren Granitfelsen wie eine luftlose und öde Mondlandschaft. Oberhalb der Baumgrenze erstreckten sich steile, von blendendweißem Schnee und Eis bedeckte Wände. Von einem der Gipfel floß ein Gletscher, der aussah wie ein mitten in der Bewegung erstarrter Wa s serfall. Ich sprach leise das Wort vor mich hin, mit dem die Waldläufer den Berg bezeichneten, und übersetzte es laut für die anderen: „Die Mauer, die die Welt umgibt.“
„Eine treffende Bezeichnung“, murmelte Lerrys, der mit dem Becher in der Hand zu mir kam und die Bergwelt m u sterte. „Der große Gipfel dort drüben ist bisher noch nicht bestiegen worden, Jason, oder?“
„Ich kann mich nicht daran erinnern.“ Meine Zähne kla p perten, und ich zog mich ans Feuer zurück. Regis studierte den fernen Gletscher und murmelte: „So schlimm sieht er gar nicht aus. Es könnte einen Weg an der westlichen Arete entlang geben. Hjalmar, warst du nicht bei der Expedition, die den Hohen Kimbi bestieg und kartographierte?“
Der Riese nickte stolz. „Wir kamen fast dreißig Meter an den Gipfel heran, dann kam ein Schneesturm auf, und wir mußten umkehren. Eines Tages werden wir die Mauer, die die Welt umgibt, in Angriff nehmen. Man hat es schon ve r sucht, aber den Gipfel hat bisher noch niemand bezwungen.“
„Es wird ihn auch niemand bezwingen“, behauptete Lerrys entschieden, „denn man müßte siebzig Meter glatter Felswand hinter sich bringen. Man würde Schwingen brauchen, um sie zu überwinden, Prinz Regis. Und außerdem gibt es da noch den Lawinensims, den man Höllenstraße nennt …“
Leicht gereizt wandte Kendricks ein: „Mir ist es völlig schnuppe, ob man ihn schon bezwungen hat oder jemals b e zwingen wird! Jedenfalls wird es nicht unsere Aufgabe sein, dies zu tun!“ Er warf mir einen durchdringenden Blick zu und meinte: „Das hoffe ich jedenfalls.“
„Natürlich nicht.“ Ich war froh über seine Unterbrechung. Wenn die jungen Leute und die Amateure sich die Zeit d a mit zu vertreiben gedachten, hypothetische Angriffe auf e i nen unbezwungenen Berggipfel zu planen, war dagegen kaum etwas einzuwenden; aus anderer Perspektive war dies allerdings reine Zeitverschwendung. Ich zeigte Kendricks eine Kluft in der Bergwand, die sich einige hundert Meter unterhalb des Gipfels befand und von beiden Seiten ausg e zeichnet gegen Lawinen geschützt war.
„Das ist der Dämmerungs-Paß; durch ihn werden wir g e hen. Wir werden den Berg überhaupt nicht besteigen, und im Inneren des Passes werden wir nicht einmal siebenta u send Meter hoch sein. Natürlich gibt es auch dort ein paar unangenehme Stellen, die es zu überwinden gilt, aber wir werden,
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