Science Fiction Almanach 1981
ruhig. „Ich habe eine bessere Idee.“ Während sie sprach, band sie sich von uns e rem Kletterseil los und schlang ein Ersatzseil durch ihren Gürtel. Das andere Ende reichte sie Lerrys. „Halt das fest“, sagte sie, zog ihre Windjacke aus und stand zitternd in e i nem dünnen Pullover da. Schließlich entledigte sie sich ihrer Stiefel und warf sie mir zu. „Und jetzt heb mich auf deine Schultern, Hjalmar.“
Ich erkannte ihre Absicht zu spät und schrie: „Nein, la s sen Sie …“ Aber sie hatte sich bereits hochgereckt, stand schwankend auf den Schultern des großen Darkovaners und griff nach der untersten Schlinge der Waldläufer-Schwingbrücke. Und schon hing sie frei in der Luft und pendelte beängstigend hin und her, während die hängenden Lianen dem Gewicht ihres Körpers nachgaben.
„Hjalmar, Lerrys! Holt sie da runter!“
„Ich bin leichter als jeder von euch“, rief Kyla, „und nicht standfest genug, um an den Seilen von Nutzen zu sein!“ Ihre Stimme schwankte ein wenig, als sie hinzufügte: „Und halte das Seil fest, Lerrys, sonst war alles umsonst!“
Sie griff nach der herabhängenden Liane und streckte die freie Hand nach der nächsten aus. Nun schwang sie sich über den Rand der unter ihr dahinrasenden Stromschnellen. Wortlos signalisierte ich den anderen, daß sie sich weiter unterhalb Kylas aufstellen sollten – als hätten wir ihr helfen können, wenn sie abstürzte.
Hjalmar, der angespannt beobachtete, wie die Frau nach der unter ihrem Gewicht langsam nachgebenden dritten Schlinge griff, schrie plötzlich: „Kyla, schnell! Die nächste … berühre sie nicht! Sie ist durchgescheuert, völlig verro t tet!“
Kyla hielt sich nun mit beiden Händen an der dritten Schlinge fest, streckte einen Arm weit aus, verpaßte das übernächste Ziel, nahm Schwung und landete schließlich, schweratmend, aber sicher, an der fünften. Ich beobachtete sie mit würgender Wut. Das verdammte Mädchen hätte mir sagen müssen, was es beabsichtigte.
Als Kyla nach unten blickte, konnten wir kurz ihr Gesicht sehen, das unter einer Schicht aus Sonnenbrandcreme und Schweiß glänzte und von der Anstrengung sprach, der sie sich ausgesetzt hatte. Ihre winzige, schwankende Gestalt hing vier Meter über den wild schäumenden Wassern, und wenn sie den Halt verlor, konnte sie nur noch ein Wunder retten. Eine Minute lang blieb sie dort hängen, pendelte leicht hin und her und begann dann einen erneuten Anlauf. Nachdem sie dreimal hin und her geschwungen war, machte sie einen Vorwärtssprung und packte die letzte Schlinge. Sie entglitt Kylas Fingern. Sie machte eine schnelle Bewegung mit der anderen Hand. Die Liane senkte sich unter ihrem Griff, jagte durch ihre Handfläche und riß mit einem scha r fen Knacken auseinander. Als sie fiel, schrie Kyla wild auf und versuchte ihren Körper panisch in der Luft zu drehen. Als sie auf den Boden prallte, lag sie zur Hälfte im Wasser und zur anderen auf dem rettenden Ufer. Sie zog die Beine ins Trockene und krümmte sich zusammen. Zwar war sie bis an die Hüften naß, aber gerettet.
Die Darkovaner schrien vor Begeisterung. Ich wies Le r rys an, sein Seilende um eine stämmige Baumwurzel zu bi n den und rief: „Sind Sie verletzt?“ Mit pantomimischen Ze i chen gab sie mir zu verstehen, daß das Gedonner des Stroms jegliche Worte erstickte. Dann beugte sie sich nieder, um ihr eigenes Seilende zu befestigen. Mit Zeichensprache machte ich ihr klar, daß sie besonders darauf achten solle, daß die Knoten fest seien; wenn einer von uns ausgerutscht wäre, hätte sie nicht die Kraft gehabt, ihn zu halten.
Um die Festigkeit des Seils zu testen, zog ich selbst da r an. Es hielt.
Ich band Kylas Stiefel mit den Schnürriemen zusammen, hängte sie um meinen Hals, griff nach dem gespannten Seil und stieg zusammen mit Kendricks ins Wasser.
Es war noch eisiger als ich erwartet hatte, und mein erster Schritt wäre beinahe mein letzter gewesen, denn der schä u mende Ansturm riß mich auf die Knie, und ich wäre der Länge nach hingefallen, hätten meine Hände das Seil nicht mit aller Kraft festgehalten. Buck Kendricks streckte die Arme nach mir aus und ließ, um mich erreichen zu können, sogar das Seil fahren, wofür ich ihn wütend ausschimpfte, während wir wieder auf die Beine kamen und uns der heft i gen Strömung entgegenstemmten. Während wir mit den erdrückenden Wassermassen kämpften, mußte ich mir ei n gestehen, daß wir den Strom ohne das Seil, für das Kyla ihr
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