Science Fiction Almanach 1982
schwarze Streifen eingenäht, die sie überall als Fremde kenntlich machten.
Bald schritten sie auf einer breiten, wohlgepflegten Straße dahin. Reich und üppig als ein wahrer Garten Gottes lag die Landschaft da. „Überall sieht man“, rief der entzückte Staatsanwalt aus, „daß die Norm ihren segenspendenden Stempel dem ganzen Lande aufgedrückt hat! Alles gedeiht und blüht!“
Wie sie weiterschritten, begann es Knüfelbein aufzufallen, daß er keiner Frau auf der Straße begegnete. Nur Männer in der Rockhose kamen ihnen teils auf Wagen, teils zu Fuß mit Feldgeräten entgegen. Alle gingen im selben Schrittrhythmus dahin, alle hatten einen ähnlichen Gesichtsausdruck, alle trugen die Krawatten gleich gebunden.
„Sie irren“, erklärte ihm aber Palamedes auf seine Frage, „wir sind verschiedenen Bäuerinnen bereits begegnet. Da aber Frauen wie Männer die gleiche Tracht tragen, sind sie nicht sogleich zu erkennen. Diese Verordnung der gleichen Tracht soll den Reiz der Geschlechter aufeinander abstumpfen, damit sich die Gedanken nur dem nützlichen, tätigen Bürgerleben zuwenden.“ „Ein weises Gesetz“, rief Knüfelbein erfreut. „Das schiebt der unsittlichen Lebensweise einen natürlichen Riegel vor. Oh, hätten wir ähnliches in unserem lieben Deutschland!“
Unter solchen Betrachtungen näherten sich die beiden Wanderer dem ersten Orte, der Stadt Verapia, die Knüfelbein auf etwa 20 000 Einwohner schätzte. Die Landstraße erweiterte sich zur Hauptstraße der Stadt, die gerade auf den Rathausplatz mündete.
Dem Staatsanwalt fiel es auf, daß alle Häuser, ob groß oder klein, nach demselben Schema gebaut waren. Aber schon schritt er mit Palamedes Sakuska die breite Rathaustreppe hinauf, der den Pförtner anwies, sie beim Syndikus zu melden. Der Syndikus, ein schon bejahrter Herr, kam. Er war ein würdiger, alter Herr, der sich wie eine Maskenfigur in seiner Rockhose ausnahm. Mit mitleidiger Höflichkeit empfing er die beiden Fremden, aber als er in ihnen den Justizminister von Paraguay und seinen ersten Gehilfen erkannte, rief er ein über das andere Mal begeistert aus, wenn die Herren erst den Staatsmechanismus von Yayaweita kennen gelernt hätten, würden sie sofort an die Reform von ganz Paraguay gehen! Mitten in seiner Rede wurde er durch das Läuten von feinen Glöckchen unterbrochen. Schnell band sich der Syndikus eine Serviette vor, reichte den beiden Fremden auch je eine, und zog seine Gäste hinauf auf die Rathausterrasse, wo sich andere Herren bereits sammelten.
Knüfelbein und seinem Freunde bot sich ein seltsamer Anblick: Auf all den platten Dächern ringsum sammelten sich die Menschen und ließen sich auf niedrigen Kissen nieder. Alle hatten die Servietten so umgebunden, daß ihnen die Zipfel wie große Ohren im Genicke wackelten. Von Hand zu Hand wanderten riesige Kaffeekannen, Milchtöpfe und Kuchenschüsseln.
Feierlich erklärte ihnen der Syndikus: „Es ist die Zeit des Landeskaffees. Jeder Mann ist bei Strafe einjährigen Kaffeemahlens gehalten, diesen Kaffee einzuhalten. In dieser Weise haben wir vier Normalmahlzeiten: Morgentee um sieben Uhr. Für die Verheirateten folgt um acht Uhr die Bürgerblühestunde, wo sie gehalten sind, für das Wohl der kommenden Generation zu arbeiten. Um zwölf Uhr haben wir die Stunde des großen Mahles. Um fünf Uhr den Landeskaffee, und um acht Uhr das Landesabendmahl. Unser Klima gestattet uns die Mahlzeiten auf dem Dache einzunehmen. Es ergibt dies eine natürliche viermalige Landeskontrolle. Zu diesen vier Zeiten steigt der Stadtbeobachter auf den Rathausturm und stellt mit seinem Fernrohr die Fehlenden fest. Diese werden alsdann in entsprechender Weise gestraft!“
„Kommen viele Delikte gegen diese Landesordnung vor?“ fragte Knüfelbein.
„Ohne Delikt kein Gesetz“, gab der Syndikus zur Antwort. „Und kein Gesetz ohne Delikt!“
Nach dem Landeskaffee begann der Ratsherr in liebenswürdigster Weise den Fremden alle Baulichkeiten und Wohlfahrtseinrichtungen zu zeigen. In der Kirche fiel dem Staatsanwalt sofort auf, daß Bilder und Skulpturen gänzlich fehlten. Nur überlebensgroße Farbfotografien der Heiligen waren vorhanden. Auch trugen diese alle, ob Frauen oder Männer, die Landestracht, die Rockhose.
Der Staatsanwalt drückte seine Verwunderung hierüber aus, wurde aber belehrt, daß die Kunst im Normallande gänzlich abgeschafft sei. „Aus alten Geschichtswerken wissen wir“, sagte der Syndikus, „daß die Künstler
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