Science Fiction Almanach 1982
sich immer für eine bevorrechtete Klasse ansahen, was Moral und Erotik anbetraf. So nahmen sie sich z. B. das Recht, weibliche Mitbürger nackt auszuziehen, und zu malen oder zu meißeln. Diese Art der Darstellung aber erregte die Sinnlichkeit der Betrachter in ungemeinem Maße, denn es ist unanständig zu zeigen, was sonst verhüllt wird. Damit beginnt die Demoralisation. Wir haben konsequenterweise die ganze Kunst abgeschafft. Auch die nervenzerrüttende Musik fehlt bei uns geradeso wie der Alkohol und andere Volksgifte. Denn wir sind der Meinung, daß die gesamten Werke einer Kunst nicht das Leben eines Jünglings oder einer Jungfrau wert sind, die durch die Kunst verdorben werden.“ Der Staatsanwalt seufzte auf! Das war nach seinem Herzen gesprochen, das mußte die Volksgesundheit erhalten!
Nunmehr begaben sie sich in das Landeskopulationsgebäude, allwo die Statistiken für die in jedem Monat zu vollziehenden Heiraten aufbewahrt wurden. Eine Reihe von Ärzten und Juristen erwogen die Leibes- und Kapitalchancen der ehereifen jungen Leute. Es war Gesetz, daß jedes Mädchen mit 20 und jeder junge Mann mit 25 Jahren heiraten mußte. Aufgabe war es, eine möglichst gleichartige Normalrasse zu züchten. Einer faulen Veranlagung wurde eine fleißige entgegengesetzt, ein kleinerer Mann erhielt eine größere Frau und umgekehrt. Bis ins kleinste gingen die Berechnungen. So war z. B. für das laufende Jahr das Landespaarverheiratungsgewicht auf 249 Pfund normiert worden. Illegitime Erotik war aufs schwerste verpönt, ja nahezu unmöglich. Die Wissenschaft in Yayaweita hatte Mittel gefunden durch subcutane Einspritzungen, die im ganzen Lande an jedem Freitag vorgenommen wurden, die Liebesgelüste bis zur gesetzlich vorgesehenen Zeit hinauszuschieben.
Wie staunte der gute Staatsanwalt die Weisheit der Gesetzgeber dieses Landes an. Wie wünschte er, daß auch solche Gesetze in seinem heimatlichen Deutschland Geltung gewännen!
„Nur durch die tätige Mitarbeit des geistlichen Standes sind wir zu diesem segensreichen Fortschritt unserer Kultur gelangt“, erklärte der Syndikus mit Stolz. Mit diesen Worten betraten sie die Landerhaltungsanstalt. Hier trafen sie in allen Gängen Menschen mit Kindern auf den Armen. „Hier wird der Grundstock zur Wohlfahrt des Landes errichtet“, setzte der Ratsherr ihnen auseinander.
„Ein jedes Kind, das in diesem Landbezirk geboren ist, wird nach acht Tagen hierhergebracht und auf körperliche und geistige Veranlagung gemessen und untersucht. Schöne Mädchen, genial veranlagte Knaben werden ebenso wie idiotische und rachitische Kinder thermisch vernichtet.“
„Aber die Genies sind es doch“, warf Knüfelbein befremdet ein, „die die Menschheit um ungeheure Strecken vorwärts bringen?“
„Allerdings“, meinte mitleidig lächelnd der Syndikus. „Das eben ist der Verderb. Geniale Menschen werden sich und ihren Mitmenschen unbequem und verursachen Störungen vielfacher Art im menschlichen Leben. Ebenso ist es mit den schönen Frauen, gemäß der alten Sage von Helena. Wenn wir solche Keime ausrotten, und uns auf den ruhigen Gang der Entwicklung verlassen, so kommen wir gleichmäßig weiter.“
Das wollte Knüfelbein nicht einleuchten. Am Tor der Landerhaltungsanstalt, deren Name ihm wie Hohn erschien, trennte er sich mit Palamedes Sakuska von seinem gewissenhaften Mentor.
Heftig diskutierte er mit dem Dr. Palamedes, der die Lehre Yayaweitas von der Schändlichkeit des Genies als folgerichtig für ein Normalland verteidigte.
Es war unerträglich heiß. Das Wasser des Stromes, an dessen aufgemauerten Ufern sie dahingingen, lockte und winkte, und da Knüfelbein keinen Menschen in der Umgebung gewahrte, so konnte er der Lust nicht widerstehen, in diesem frischen Wasser ein Bad zu nehmen.
„Die Gesetze des Landes verbieten die Entblößung!“ rief Palamedes Sakuska. Aber der Staatsanwalt hatte bereits seinen Rockhosenanzug abgestreift und ließ sich in den Strom hinabgleiten. Leider hatte er sich in der Stärke der Strömung verrechnet. Blitzschnell trugen ihn die Wellen dahin. Sakuska vermochte am Ufer keinen Schritt mit ihm zu halten, und so ward der Staatsanwalt Dr. Heinrich Knüfelbein nackt in die Mitte des moralischen Normallandes hineingespült. Nach einer Stunde etwa wurde er von Landleuten aufgelesen und eiligst in das Irrenhaus der nächsten Stadt transportiert. Hier untersuchte man ihn, und er verstand von der lateinischen Diskussion der Ärzte soviel, daß man
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