Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
letzten, verzweifelten Anstrengungen des Häuptlings auf.
Kein-Fell trank lange und sättigend.
Dann, noch während Blut an seiner Schnauze klebte,
überblickte er aufmerksam das Volk.
„Ich bin Häuptling“, sagte er.
„Du bist der Häuptling!“ erwiderte der antwortende
Chor.
„Und Wesel ist meine Partnerin.“
Dieses Mal gab es Zögern auf Seiten des Volkes. Der
neue Häuptling hörte Gemurmel wie: „Das Festmahl … Großer-Fangzahn ist alt und zäh … Sollen wir betrogen werden –?“
„Wesel ist meine Partnerin“, wiederholte er. Dann – „Dort steht euer Festmahl –“
Auf der Höhe seiner Macht sollte er sich an die betroffenen Augen von Kein-Schwanz erinnern, an das schreckliche Gefühl, daß er sich durch seine Worte außerhalb jeder Sitte, jedes Gesetzes gestellt hatte.
„Über das Gesetz“, flüsterte Wesel.
Er verhärtete sein Herz.
„Dort ist euer Festmahl“, sagte er wieder.
Es war Große-Ohren, der, indem er einer der Wachen einen Speer entriß, die sich windende Kein-Schwanz mit einem schnellen Stoß erledigte.
„Ich bin deine Partnerin“, sagte Wesel.
Kein-Fell nahm sie in die Arme. Sie rieben die Nasen aneinander. Es war nicht das Blut des alten Häuptlings, das sie – wenn auch nur leicht – erschaudern ließ. Es war das Gefühl des ekelhaften, haarlosen Körpers an ihrem eigenen.
Schon tranchierten und zerteilten die Leute die beiden Leichen und zankten sich um eine gerechte Teilung der saftigen Beutestücke.
Es gab eine unter dem Neuen Volk, die, wäre ihr Unterschied von der rassischen Hauptmasse nur psychologischer Art gewesen, schon längst geschlachtet worden wäre. Ungeachtet ihrer drei Augen hätte die unvorsichtige Ausübung ihrer Begabung sicheren Untergang gebracht. Aber wie ihre Schwestern in höher zivilisierten Gesellschaften war sie so vorsichtig, denen, die zu ihr kamen, nur das zu sagen, was sie zu hören begehrten. Selbst hierbei übte sie Zurückhaltung. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß das Vorauswissen von kommenden Ereignissen auf seiten der Beteiligten oft in völlig unvorhersehbaren Ergebnissen resultierte. Dies ärgerte sie. Besser Pech im Hauptstrom der Zeit als Wohlergehen in einem ihrer Nebenflüsse.
Zu dieser Drei-Augen kamen Kein-Fell und Wesel.
Bevor der Häuptling seine Fragen stellen konnte, hob die Seherin eine ausgemergelte Hand.
„Du bist Shrick“, sagte sie. „So hat dich deine Mutter genannt. Shrick der Riesentöter.“
„Aber –“
„Warte. Du bist gekommen, um mich über deinen Krieg gegen Tekkas Leute zu befragen. Mach weiter mit deinen Plänen. Du wirst siegen. Du wirst sodann gegen den Stamm von Sterret des Alten kämpfen. Abermals wirst du siegen. Du wirst Herr des Außerhalb sein. Und dann –“
„Und dann?“
„Werden die Riesen vom Volk wissen. Viele, aber nicht alle des Volkes werden sterben. Du wirst gegen die Riesen kämpfen. Und den letzten der Riesen wirst du töten, doch er taucht sodann die Welt in – Oh! Wenn ich es dich sehen lassen könnte! Aber wir haben keine Worte dafür.“
„Was –?“
„Nein, du kannst es nicht wissen. Du wirst es nie wissen, bis dir das Ende bevorsteht. Aber dies kann ich dir sagen. Das Volk ist verdammt. Nichts, was du tun kannst, oder was sie tun können, wird sie retten. Doch du wirst jene töten, die uns töten werden, und das ist gut.“
Wieder bettelte Kein-Fell um Erleuchtung. Ganz plötzlich wurden seine Bitten Drohungen. Er steigerte sich schnell in einen seiner gefürchteten Anfälle blinder Wut hinein. Aber Drei-Augen beachtete seine Anwesenheit nicht. Ihre zwei äußeren Augen waren fest geschlossen, und dieses seltsame, gefürchtete mittlere starrte auf etwas, etwas außerhalb der Grenzen der Höhle, etwas außerhalb des Gerüstes der Dinge, wie sie sind.
Tief in der Kehle knurrte der Häuptling.
Er hob den spitzen Speer, der das sichtbare Zeichen seines Amtes war, und grub ihn tief in den Körper der alten Frau. Das mittlere Auge schloß sich und die beiden äußeren flackerten zum letzten Male.
„Mir wird das Ende erspart –“, sagte sie.
Außerhalb der kleinen Höhle wartete der getreue GroßeOhren. „Drei-Augen ist tot“, sagte sein Herr. „Nimm, was du willst, und gib den Rest dem Volk –“
Eine kleine Weile herrschte Schweigen.
Dann – „Ich bin froh, daß du sie getötet hast“, sagte Wesel. „Sie hat mir Angst gemacht. Ich bin in ihren Kopf hineingekommen … und ich war verloren!“ Ihre Stimme hatte eine hysterische Schärfe. „Ich war
Weitere Kostenlose Bücher