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Science Fiction aus Deutschland

Science Fiction aus Deutschland

Titel: Science Fiction aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers und Ronald M. Hahn Hrsg.
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in das totenbleiche Gesicht eines jungen Mannes, der einen purpurnen Umhang trug. Purpur und totenbleiche Schminke war derzeit in. Dazu trug der Junge schwere, goldglitzernde Ohrringe und im linken Mundwinkel klemmte eine teure schwarze Zigarre. Offenbar war er sich etwas unsicher, ob er Dracula oder Edward G. Robinson in seinen Gangsterrollen imitieren wollte.
    »Na … du Abschaum?« fragte er höhnisch und seiner Macht bewußt. Er schien nicht nur die alten Horror- und Gangsterfilme gesehen zu haben, sondern hatte wohl auch einen Westernhelden-Kursus mitgemacht, denn es war gekonnt einstudiert, wie er dort breitbeinig mit angewinkelten Armen vor Wermser stand und mit keiner Wimper zuckte, obwohl der Tabaksqualm ständig in seine Augen kräuselte und ihn fast blind machen mußte.
    »Lassen Sie mich bitte gehen«, bat Wermser, der sich den Staub aus den Kleidern klopfte. Der Junge musterte ihn spöttisch und winkte die anderen noch näher heran.
    »Du verlaustes Etwas wagst es, mich um etwas zu bitten?« Beifällig sah er sich um. Die anderen Jugendlichen brüllten vor Lachen.
    Wermser wußte, daß er so schnell wie möglich verschwinden mußte. Er hatte dabei weniger Angst vor Prügel, denn die hatte er schon oft genug bezogen; unangenehmer war die Gefahr, daß Polizei aufmerksam wurde und ihn in ein Arbeitslager oder Schlimmeres stecken würde. Die Jugendlichen waren schneller als er. Sie würden sich rechtzeitig verdrücken und hatten als brave und arbeitsame Konsumenten sowieso nicht viel zu befürchten.
    »Ich habe keine Läuse«, versuchte er schwach abzuwehren.
    »Nein?« staunte der Junge. »Wieviel Anzüge besitzt du denn, mein Schöner? Zwanzig, Einundzwanzig?«
    »Ich habe nur acht«, stotterte Wermser in das neue Gelächter der Umstehenden hinein, zu denen sich inzwischen auch ganz normal aussehende Bürger belustigt gesellt hatten. Niemand reagierte auf seine hilfesuchenden Blicke. Er stieß nur auf Haß und Schadenfreude.
    »Habt ihr das gehört? Unser Schöner besitzt sage und schreibe acht Anzüge! Und du Schwein willst in acht Anzügen sauber bleiben? He, ich rede mit dir, mein Schöner.«
    Wermser wurde in den Nacken gestoßen und verfluchte seine Unvorsichtigkeit. Er hätte sich niemals am hellichten Tage außerhalb des Asozialen-Gettos sehen lassen dürfen. Er wankte nach vorn, auf den rauchenden Todesvogel zu, der jetzt mit gespielter Empörung quietschend zur Seite sprang.
    »Iiiiiih!« kreischte er gekünstelt. »Berühre mich nicht, du stinkender Abfalleimer!«
    Die Menge jubelte vor Vergnügen, und der Todesvogel sonnte sich in seinem Erfolg. Wermser sah seine Chance. Er nahm alle Kraft zusammen und rannte los, so schnell ihn seine Beine tragen konnten.
    Ein paar Jugendliche wollten ihm folgen, aber der Todesvogel sagte etwas wie »Laßt das Stinkpaket doch in seinen Gully zurückkriechen«, und die Verfolger hielten inne. Der Todesvogel hatte wohl ein Gespür für Schaueffekte und wußte, daß er für sich das Maximale herausgeholt hatte.
    Wermser rannte weiter, so schnell er konnte und atmete erst auf, als er die ersten Häuser des Asozialen-Gettos erreicht hatte. Glück gehabt. Keuchend lehnte er sich an die Mauer eines schäbigen Backsteinhauses, nachdem er sich nochmals mit einem Blick um die Ecke vergewissert hatte, daß ihm niemand mehr folgte.
    Mit zitternden Fingern betastete er das große »A«, das man ihm in die Stirn gebrannt hatte, als er eines Tages entlassen wurde und zu krank war, um eine neue Beschäftigung zu finden. Das war der Ausweis der Asozialen, aber hier liefen alle Menschen so herum, denn dies war ihr Getto. Sein Verbrechen hatte darin bestanden, daß er seine Arbeitskraft nicht mehr verkaufen konnte. Und etwas anderes hatte er nun einmal nicht.
    Aber er war auch schon früher aufgefallen. Vielleicht hätte man ihm doch irgendwelche Organe ersetzt oder ihn zur Kur geschickt. Aber er galt schon vor seiner Krankheit als unzuverlässig, hatte die beinahe wöchentlich wechselnden Moden nicht mitmachen wollen und nur konsumiert, was er benötigte. Er hatte sich mit zwölf Jahren geweigert, die natürlichen Zähne gegen ein Kunstgebiß auszuwechseln, weil sie noch gut waren und weil er kein Kunstgebiß haben wollte. Man hatte ihn gezwungen, aber seine Weigerung wurde in den Computerakten festgehalten. Heute erwachten in ihm manchmal, aber nur manchmal in Zeiten wie diesen, wenn er sich elend und allein fühlte, Träume von einem Leben als folgsamer Arbeiter, der sich

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