Science Fiction aus Deutschland
standen, und blickte durch sie hindurch. Zu sehr war er in Gedanken versunken, um die mißtrauischen Blicke zu sehen, die ihm bis zu dem großen Glasraum folgten, in dem die Lektoren der Audiovisuellen Abteilung saßen. Lächelnd erstattete er dem Cheflektor Bericht.
In der Glaskabine Nummer 34 hatte der Autor die Elektro-Schreibmaschine wieder zu sich herangezogen. Er spannte die Papierbogen ein und begann den zweiten Dialogversuch über das aktuelle Thema Revolution und Mensch. Der einzelne und die Subversion. Aber keine Identifikation damit. Das heißt, diesmal machen wir eine Ausnahme. Seien Sie ein Revolutionär und schreiben Sie, was Ihr Herz bedrückt. Realistisch, aber exotisch. Schreiben Sie über sich selbst. Wir wissen längst, wer Sie sind und was Sie denken. Wir wissen auch: Sie werfen keinen Stein auf das Glashaus, in dem Sie sitzen! Machen Sie einen Selbstversuch. Damit e$ echter wird, mitfühlsamer, ästhetischer, konsumierbarer. Im Falle eines Falles bügeln Ihre Kollegen aus, was Sie verderben. Machen Sie sich keine Sorgen, wir haben noch aus jedem Mist ein Kunstprodukt gemacht, das sich genüßlich verdauen ließ. Gefühle stehen immer hoch in Kurs. Und Sie wissen schon, woran es am meisten fehlt: an der Liebe. Nein, mein Lieber, das war doch ganz geschickt, das Reichsche Orgon dazu herzunehmen. Sie Gefühlsrevolutionär! Im Vertrauen – brauchen Sie nicht auch mal wieder eine Frau? Nennen Sie Ihren Helden doch besser Juan Quixote!
Er schreckte hoch. Träumen gehörte zum Metier. Aber in Grenzen, und die Grenzen steckten andere ab. In sie paßte die Narrenfreiheit, die er jetzt zu nutzen hatte, allemal hinein. Der Kommerz braucht Revolutionäre.
Die Grenzen niederreißen?
Leben muß man auch – oder?
Mitmachen, realistisch schreiben, die Verhältnisse und ihre Grenzen markieren und die Notwendigkeit ihrer Überschreitung erkennbar machen? Das wäre einen Versuch wert. Oder wäre es Selbstbetrug? Vielleicht öffnet das anderen die Augen?
Der Autor Nummer 34 zog das Papier wieder aus der Maschine. Drei Durchschläge reichten diesmal nicht aus, denn für ihn selbst war keiner dabei. Es mußten mindestens vier sein, um einen behalten und herumreichen zu können, der nicht »ausgebügelt« worden war.
Er schrieb:
Harald Buwert
SELBSTVERSUCH
In das Klappern seiner Schreibmaschine hinein drang das Klingeln des Telefons. Er hob den Telefonhörer ab, während sich seine Gedanken weiter mit einem Problem beschäftigten. Am anderen Ende der Leitung war einer der Lektoren aus der Abteilung Audiovisuelle Medien der Ideenfabrik. Er fragte: »Wie weit sind Sie mit der Revolution?«
Wolfgang G. Fienhold
Kompensation
»Morgen ist der große Tag.« Norman bewegte unruhig den kleinen Finger seiner linken Hand, wie gerne hätte er mit beiden Fäusten gegen die Wände geschlagen; sie waren erreichbar, doch er hatte Angst, sie durchzuschlagen. Er wußte nicht, wie lange er schon auf dieser Pritsche lag, die genauso lang und breit war wie der Raum.
Doch morgen war der große Tag, und nur dies zählte noch.
Er griff sich an die Kehle, irgend etwas stimmte mit seinem Sauerstoffgerät nicht. Fahrig nestelte er daran herum, es funktionierte wieder.
Nichts durfte schiefgehen bis morgen. Die ungezählte Zeit in dem Behältnis war vergessen. Es würde morgen nicht das erste Mal sein, daß man ihn herausholte aus Sektion 171, Block 14, Etage 2401, Raum XZ1313.
Aber es würde anders sein, als die vergangenen Male, wo es nur darum ging, den Bewohnern Mut zuzusprechen und sie auf bessere Zeiten zu vertrösten. Sie allerdings sagten nicht bessere, sondern andere Zeiten. Norman waren diese Referate gleichgültig. Er hatte sich nur auf seinen Tag gefreut. Bedeutungslose Vergangenheit.
Das Sauerstoffgerät machte wieder Schwierigkeiten und bei dem Versuch, es zu richten, stieß er mit dem Kopf hart gegen die Decke.
Es war bekannt, daß man einigen seiner Mitbewohner einfach den Sauerstoff entzogen hatte, aber mit ihm konnte man das nicht machen, denn morgen war sein Tag. Er stellte den Lebensschlauch auf höchste Leistung und ließ sich noch einmal richtig vollaufen.
»Oh, Mammi, ich habe dich nie gekannt, aber es war nicht schlimm für uns beide, es ist vergessen, und morgen werden wir uns wiedersehen, in dem Raum, in dem du mich geboren hast, auf Asbest und mit all deiner Liebe. Rose ohne Dornen, nimm mich zurück, wir lieben uns. Am Tag des Vergessens, Verzeihens der Wiedergeburt, der Liebe.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher