Science Fiction aus Deutschland
streuten dünnes Licht auf das Pflaster und vor die dunklen Höhlen der Hauseingänge. Er schloß die Haustür auf, stieg langsam das düstere Treppenhaus nach oben und schloß seine Wohnung auf. Mrs. Scott war anscheinend in die Kirche gegangen. Sie gehörte einer jener zahllosen Sekten an, die in den zahllosen Versammlungshäusern Londons ihre inbrünstigen Gottesdienste abhalten.
Er hatte es bisher immer vermieden, dieses Thema zu berühren, weil es ihm peinlich war. Glaubenseiferer waren ihm zeitlebens unangenehm gewesen, weil der seltsam hektische Optimismus und jene aufdringlich missionarische Herablassung ihn immer abgestoßen hatten, und die Sicherheit, mit der sie ihren Lehren anhingen, ihn irritierte und beunruhigte. Deshalb war er unangenehm überrascht, als er auf dem Tisch seines Zimmers eine kleine Broschüre fand, die offenbar religiösen Inhalts war.
Auch du mußt sterben –
was dann?
stand in großen weißen Lettern über zwei gekreuzten Palmzweigen auf dem schwarzen Pappeinband und darunter
Besuchen Sie Pater Ramseys Totenmessen
den Dienst der Zuversichtlichen im Tod.
Tensley fühlte sich peinlich berührt. Es konnte nur Mrs. Scott gewesen sein, die ihm das Heftchen auf den Tisch gelegt hatte, wohl in Sorge um sein Seelenheil. Er war aufgeschreckt und spürte den beunruhigenden Mißton, der sich mit einem Mal in das gute Verhältnis zwischen ihm und Mrs. Scott mischte. Vergeblich versuchte er, diese Einladung mit ihrem schüchternen und zurückhaltenden Wesen in Einklang zu bringen, aber dann sah er ein, daß solche Menschen in Glaubensdingen in der Regel zu tief fühlen, um den richtigen Ton zu finden. Er gerät ihnen zu laut. Was sie als Pflicht ihrem Nächsten gegenüber betrachten, wird von diesem als Einbruch in seine persönliche Sphäre empfunden.
Tensley runzelte verärgert die Stirn, knöpfte seinen Mantel auf, setzte sich an den Tisch und putzte heftig seine Brille. Mit spitzen Fingern faßte er die Broschüre an und blätterte darin. Das Bild eines Mannes fesselte ihn. Er war etwa in seinem Alter, eine breitschultrige Gestalt in schwarzem Talar, darüber ein starkknochiges ausgeprägtes Gesicht, ernst, energisch, entschlossen, ein prüfender Blick, skeptisch, eher der eines Wissenschaftlers als der eines Geistlichen oder gar fanatischen Sektierers, das kurz geschnittene weiße Haar bildete einen interessanten Kontrast zur schwarzen Kleidung, eine imponierende Gestalt. Tensley hatte das unbestimmte Gefühl, diesen Mann zu kennen oder gekannt zu haben. Auch der Name – Ramsey –, sonderbar, aber er kam nicht darauf.
Der Text der Broschüre war eigenartig, anders als sonst bei Druckerzeugnissen dieser Art. Knapp und klar wurde die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele aufgeworfen, ohne Pathos, ohne das Diesseits als nichtig und eitlen Schein abzuwerten, und bot schlicht und einfach die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod in einer anderen Welt an, nicht in einem verklärten Jenseits, nur in einer anderen Welt. Dieser Ramsey lud zu den Veranstaltungen seiner Gemeinde ein, die mehrmals wöchentlich stattfanden. Tensley beschloß, die Sache zunächst auf sich beruhen zu lassen und möglichst kein Wort darüber zu verlieren.
Das war einfacher, als er gehofft hatte, denn Mrs. Scott war in diesem Punkt von angenehmer Zurückhaltung und sprach nicht mehr davon. So herrschte stilles Einvernehmen darüber, das Thema unberührt zu lassen.
An einem Winterabend – Mr. Tensley lebte nun schon länger als ein Jahr in seiner stillen Abgeschiedenheit, und manchmal war es ihm, als sei es nie anders gewesen – eines Abends also, fiel ihm das Heftchen wieder in die Hände. Er betrachtete lange das Bild dieses merkwürdigen Paters und las von neuem seine Ausführungen. Zögernd erwog er, sich diesen Ramsey doch einmal näher anzusehen. Es war Dienstag, der Tag, an dem Mrs. Scott sich jede Woche aufmachte, um zuversichtlich ihrem Tod entgegenzusehen, und Mr. Tensley fühlte sich an diesem Abend von ungewohntem Tatendrang erfüllt, der ihn schließlich bewog, sich anzukleiden, um, unsichtbar an die Fersen von Mrs. Scott geheftet, die seltsame Gemeinde in Augenschein zu nehmen.
Er kleidete sich sorgfältig, wählte dunkel und unauffällig, dann wartete er lauschend im Zimmer, bis die Wohnungstür hinter Mrs. Scott ins Schloß fiel, und machte sich sofort nach ihr auf den Weg. Er lauschte ihrem Schritt im Treppenhaus nach, bis die Haustür ging, dann eilte er hinter ihr
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