Science Fiction Jahrbuch 1983
ein weißer Nadelmann wahrscheinlich kaum eine Chance, wie damals in New Orleans. Doch Uptown ist so verdammt gemischt, daß hier keiner mehr durchblickt. Denken Sie einmal nach. Dies ist das Hauptterritorium.“
Kris ließ seine Hand los und schenkte ihnen noch Bier ein. „Trinken Sie aus“, forderte sie ihn auf, „ich muß wieder zurück und weiterbüffeln. Ich sehe schon, daß ich Sie davon nicht abbringen kann. Sie haben sich jedes noch so verrückte Detail genau überlegt, stimmt’s?“
„Nichts ist verrückt“, sagte Jerry. „Für mich wird die Angelegenheit immer klarer.“
„Sie können aber nicht das Geringste davon beweisen, Jerry.“
„Bis jetzt nicht“, sagte Jerry. „Aber auf dem einen oder anderen Weg beschaffe ich mir Beweise. Diese Geschichte kann mich ganz groß rausbringen, und ich denke nicht daran, sie mir durch die Finger gleiten zu lassen. Die Nadelmänner wissen nicht, daß ich ihnen auf der Spur bin. Ich werde jetzt die Ausreißer- und Verschwundenenlisten nachprüfen und in dieser Richtung recherchieren. Von nun an werde ich diesen verdammten Javelin sorgfältig überwachen. Von der Hintertreppe aus kann ich die gesamte Seitenstraße überblicken. Ich werde mir ein Fernglas kaufen. Und eine Pistole. Ja, es wird besser sein, eine Pistole zu tragen.“
„Wenn Sie mit Fernglas und Pistole durch die Seitenstraße patrouillieren, wird die Polizei Sie einsperren, nicht die Nadelmänner. Meinen Sie nicht, Sie nehmen diese Volkssage ein bißchen zu …“ Sie hielt inne und starrte aus dem Fenster. „Oh, mein Gott“, rief sie aus.
Jerry sah ebenfalls hinaus. Auf der anderen Seite der Straße gab es noch eine Kneipe, einen ordinären, lauten Laden, in den Jerry niemals gegangen wäre. Zwei Männer waren gerade herausgekommen. Ein Weißer mit einem Cordjackett und Leder flicken an den Ellbogen half einem schwarzen Jugendlichen in einen wartenden Wagen. Der Schwarze schien betrunken oder fast ohnmächtig zu sein. Jerry stellte fest, daß es sich bei dem Wagen um einen schwarzen Javelin handelte.
„Oh, das kann nur ein Zufall sein“, sagte Kris, aber ihre Stimme klang so, als würde sie es selber nicht glauben. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Er ist nur betrunken. Es gibt tausend Erklärungen.“
„Wir sollten besser nach Hause gehen“, sagte Jerry. „Die Nadelmänner sind am Werk.“ Er bezahlte die Rechnung und führte Kris hinaus. In der Seitenstraße schien jeder Schatten grinsend eine lange Nadel zu halten, aber sie eilten vorüber und die Hintertreppe hinauf, ohne daß sie etwas aufgehalten hätte. Die beiden atmeten schwer, als sie Kris’ Stockwerk erreicht hatten. Das mußte vom Treppensteigen kommen, versuchte Jerry sich einzureden.
Er legte den Arm um sie und wollte sie küssen. Er hoffte, daß sie nichts dagegen hatte, aber ihre Hingabe überraschte ihn. Als sie sich schließlich voneinander lösten, sah Kris ihn mit diesen großen grünen Augen an. „Oh, verdammt“, sagte sie. „Es ist verrückt, aber du hast mich soweit gebracht, überall Nadelmänner zu sehen.“ Sie rümpfte die Nase. „Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich habe Angst.“
Jerry stand sprachlos da. Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte.
„Ich weiß nicht, wie ich es dir beibringen soll“, begann Kris, „aber würdest du die Nacht über bleiben? Bei mir? Ich könnte dann besser schlafen.“
Jerry versuchte das Grinsen zu unterdrücken. „Oh, sicher“, sagte er, „ich auch.“
„Danke“, murmelte Kris. Sie drehte sich um und öffnete die Tür. Ihre Wohnung hatte denselben Grundriß wie seine eigene, war aber um einiges eleganter eingerichtet. Sie und ihre Mitbewohnerinnen lebten viel besser als er. Kris ließ ihn aber die Ausstattung nicht
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