Science Fiction Jahrbuch 1983
Außerdem können sie dann auch leicht einen Krankenwagen besorgen.“
Kris lachte auf und schüttelte den Kopf. „Oh, wirklich. Sie sollten sich hören, Jerry. Sie sind ja wirklich nett, und ich habe Sie auch für sehr intelligent gehalten, aber Sie reden wie ein Paranoiker. Gumbo Granny war Ihnen in dieser Beziehung weit unterlegen!“ Sie beugte sich über den Tisch und nahm seine Hand. „Hören sie mal“, sagte sie und kniff ihn freundschaftlich. „Dieses Theoretisieren ist schlimm genug, aber die vorgebrachten Motive sind verrückt. Menschliche Konterbande für medizinische Fakultäten? Leichenklau? Ehrlich. Solch ein Stoff mag vielleicht im Mittelalter interessant gewesen sein, ja selbst im New Orleans des neunzehnten Jahrhunderts – aber heute? Gehören diese Nadelmänner zu Krankenhäusern oder Universitäten, oder fahren sie nur vor, holen die Leichen aus dem Kofferraum ihres Wagens und beginnen dann mit dem Professor zu verhandeln? Ich bin mir sicher, daß Mediziner an einer Uni auf bequemere Weise an Leichen herankommen können, glauben Sie nicht auch?“
Jerry grinste sie an. „Ja, daran habe ich auch gedacht“, sagte er, „und es brachte mich zuerst etwas durcheinander. Doch schließlich fand ich eine Lösung. Ich werde sie in meinem Artikel bringen.“
„Und?“ fragte Kris ungeduldig.
„Transplantationen“, sagte Jerry stolz.
Sie zog eine Augenbraue hoch.
„Nein, wirklich“, sagte Jerry. „Denken Sie einmal darüber nach. Die alten Nadelmänner wollten nur die Körper, wie die alte Frau sagte. Für Krankenhäuser, an denen ausgebildet wurde, und für Universitäten. Dort brauchte man sie für Sezierungen und war in der Wahl der Mittel, sie zu bekommen, nicht besonders wählerisch. Heutzutage ist diese Nachfrage natürlich nicht mehr da, denn es gibt andere Mittel und Wege. Aber die Nadelmänner gibt es immer noch. Warum, fragte ich mich. Warum, wenn nicht für Transplantationen. Man braucht sich nur das Spätprogramm im Fernsehen anzuschauen, überall sehen Sie diese Werbespots: ‚Spenden Sie Ihre Nieren hier, lassen Sie Ihre Augen dort.’ Sie machen irgendwo den Führerschein, und schon wollen die Leute Sie als Organspender festlegen. Wirklich, die Nachfrage ist da. Viele Menschen brauchen neue Nieren oder eine Leber oder Plasma, und es gibt davon nicht genug. Man kann sich vorstellen, daß einige reiche Leute fast alles dafür geben würden, um zu leben. Also müßte es eine Art Schwarzmarkt für Körperteile geben, selbst wenn niemand darüber schreibt. Die Nadelmänner. Nur daß sie heute ihre Opfer vorerst nur betäuben, anstatt sie zu töten, verstehen Sie? Die Körper werden lebend weggeschafft und für Transplantationen ausgeschlach tet. Ich schätze, da steckt Geld drin. Jede Menge Geld.“
„Und Uptown wird von diesen Nadelmännern überschwemmt?“ fragte Kris.
„Gäbe es bessere Jagdgründe? Als ich heute von der Hochbahn kam, lag wieder so ein Typ bewußtlos auf der Treppe am Ausgang. Wenn ihm nun ein zweiter Typ aufgeholfen hätte, würde ich keinen zweiten Blick darauf verschwendet haben. Wir haben hier so viele Ausreißer, die Polizei kann sie nicht einmal mehr zählen. Ich weiß es, ich habe mit ihr telefoniert. Wir haben hier Bandenkriege, es gibt Rassenunruhen zwischen den Asiaten und den Hinterwäldlern und den Negern und beinahe jede Nacht Kämpfe in den Bars und Kneipen. Illegale Einwanderer arbeiten überall, die in keiner Statistik auftauchen und die bis auf ihren Arbeitgeber keiner kennt, und wenn einer von ihnen verschwindet, dann ist er halt von der Einwanderungsbehörde erwischt worden oder hat die Stadt verlassen. Unten in den vollschwarzen Slums hätte
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