Scriptum
Vaters, als er gerade zehn
gewesen war –, und er wollte dazu beitragen, sie positiv zu verändern; wenn schon nicht für sich selbst, dann wenigstens für andere. Ein
Erlebnis verankerte das Gefühl endgültig in ihm. Als er einmal ein Referat über einen Fall schrieb, in dem es um ein rassistisch
motiviertes Verbrechen ging, nahm er an einer Versammlung weißer Rassisten in Terre Haute teil. Was er dort erlebte, hatte
ihn tief schockiert. Es kam ihm vor, als sei er dem Bösen selbst begegnet. Um es bekämpfen zu können, das spürte er, musste
er es besser verstehen lernen.
Sein erster Plan ging allerdings nicht ganz so auf wie erhofft. In einem Anfall von jugendlichem Idealismus hatte er beschlossen,
Pilot bei der Navy zu werden. Die Vorstellung, vom Cockpit eines silbernen Kampfjets aus mitzuhelfen, die Welt vom Bösen zu
befreien, erschien ihm äußerst verlockend. Zum Glück war er genau die Sorte Rekrut, auf die die Navy aus war. Leider aber
hatte man andere Pläne mit ihm. Bewerber, die Tom Cruise in
Top Gun
nacheifern wollten, hatte man mehr als genug. Was man brauchte, waren Juristen. Die Rekrutierungsoffiziere gaben sich alle
Mühe, ihm eine Zukunft als Angehöriger des Militärjustiz-Corps schmackhaft zu machen. Reilly liebäugelte eine Zeit lang mit
der Idee, entschied sich aber letzten Endes doch dagegen und konzentrierte sich wieder darauf, auf sein Anwaltsexamen hinzuarbeiten.
Schließlich wendete eine Zufallsbegegnung das Blatt erneut für ihn, diesmal endgültig. In einem Antiquariat lernteer einen pensionierten FB I-Agenten kennen, der ihm mit Vergnügen Rede und Antwort über die Bundespolizei stand und ihn ermunterte, sich dort zu bewerben. Und
genau das tat er auch, sobald er sein Examen in der Tasche hatte. Seine Mutter war zwar alles andere als begeistert von der
Vorstellung, dass er nach siebenjährigem Studium als «besserer Bulle», wie sie es nannte, endete, aber Reilly wusste: Es war
genau das Richtige für ihn.
Sein erstes Jahr beim FBI in Chicago, wo er im Streifendienst Erfahrungen bei der Bekämpfung von Raubkriminalität und Drogenhandel
sammelte, war noch nicht ganz um, als der 26. Februar 1993 alles veränderte. An jenem Tag ereignete sich in der Tiefgarage des World Trade Center eine Bombenexplosion.
Sechs Menschen kamen dabei ums Leben, über eintausend wurden verletzt. Ursprünglich hatten die Drahtzieher sogar geplant,
einen Turm auf den anderen stürzen zu lassen, wobei gleichzeitig eine Cyanidgaswolke freigesetzt werden sollte. Dieses Ziel
hatten sie allein aus finanziellen Gründen nicht erreicht; ihnen war einfach das Geld ausgegangen. So besaßen sie nicht genügend
Benzinkanister für die Bombe, die nicht nur zu kümmerlich war, um ihren niederträchtigen Zweck zu erfüllen, sondern noch dazu
neben einer Säule platziert wurde, die für die Gebäudestatik zum Glück nicht von entscheidender Bedeutung war.
Der Anschlag war zwar fehlgeschlagen, aber er war dennoch ein ernst zu nehmender Weckruf gewesen. Er führte drastisch vor
Augen, dass ein Grüppchen nicht sonderlich raffinierter Terroristen mit äußerst begrenzten finanziellen und organisatorischen
Mitteln gigantische Schäden anrichten konnte. Um dieser neuen Bedrohung zu begegnen, nahmen die Geheimdienste umgehend interne
Umstrukturierungen vor.
Und so kam es, dass Reilly nach kaum einem Jahr im Dienst in die FB I-Zweigstelle in New York versetzt wurde. Dem New Yorker Büro eilte der Ruf voraus, die schlechtesten Arbeitsbedingungen überhaupt zu bieten;
da waren die hohen Lebenshaltungskosten, die Verkehrsprobleme und der missliche Umstand, dass man, wenn man nicht gerade mit
einer Besenkammer vorlieb nehmen wollte, sich eine Bleibe ziemlich weit außerhalb der Stadt suchen musste. Da aber New York
nun einmal den unumstrittenen Brennpunkt der Geschehnisse im Land bildete, träumten die meisten neuen, noch blauäugigen Special
Agents von einer Versetzung dorthin. Genau so ein Agent war Reilly, als er nach New York versetzt wurde.
Inzwischen war er längst nicht mehr neu, geschweige denn blauäugig.
Während Reilly sich am Tatort umschaute, hegte er nicht den leisesten Zweifel daran, dass ihn das Chaos hier für die nächste
Zeit rund um die Uhr auf Trab halten würde. Er durfte nicht vergessen, am nächsten Morgen Pater Bragg anzurufen und ihm mitzuteilen,
dass er das Softball-Training leider ausfallen lassen musste. Kurz bekam er ein
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