SdG 04 - Die eisige Zeit
Kreis um die Lichtung im Zentrum des Lagers versammelt und warteten auf die Ankunft ihres Herrn.
Der schwarze Drache mit der silbernen Mähne tauchte aus der Dunkelheit über ihren Köpfen auf wie ein losgerissenes Stück Nachthimmel und schwebte herab, um mit einem sanften Knirschen seiner Krallen auf dem steinigen Boden der Ebene zu landen. Das riesige, schreckliche Tier verschwamm im gleichen Augenblick, in dem seine Krallen die Erde berührten, und eine warme, nach Gewürzen riechende Brise wirbelte in alle Richtungen davon, als die Gestalt des Drachen zu schrumpfen schien. Einen Augenblick später stand der Sohn der Dunkelheit auf der Lichtung, in einen weiten Umhang gekleidet, eingerahmt von den Furchen, die seine vorderen Krallen auf dem Boden hinterlassen hatten. Seine leicht schräg stehenden Augen glommen in einem matten Bronzeton, während er den Blick über sein Volk schweifen ließ.
Die Mhybe schaute zu, als Korlat auf ihren Herrn zuschritt. Die Rhivi hatte Anomander Rake nur einmal zuvor gesehen, südlich des Schwarzhundwalds, und dann noch einmal aus einiger Entfernung, als der Sohn der Dunkelheit mit Caladan Bruth gesprochen hatte. Sie erinnerte sich daran, wie Mondbrut den Himmel über der Rhivi-Ebene ausgefüllt hatte. Rake hatte gerade zu der fliegenden Festung aufsteigen wollen. Ein Bündnis war mit den Magiern von Fahl geschlossen worden, und die Stadt stand kurz davor, von Einarms Heer belagert zu werden. Damals hatte er genauso dagestanden wie jetzt: groß, unerbittlich, ein Schwert, das blankes Entsetzen ausstrahlte, auf den Rücken geschnallt; seine langen, silbernen Haare wehten in der Brise.
Eine leichte Drehung seines Kopfes war alles, woran zu erkennen war, dass er Korlat bemerkt hatte.
Zur Linken der beiden Tiste Andii erschienen jetzt Caladan Bruth, Kallor, Dujek und die anderen.
Spannung knisterte in der Luft, doch es war eine Spannung, die die Mhybe wiedererkannte: Sie war auch schon beim letzten Treffen dabei gewesen, vor einigen Jahren. Anomander Rake war ein Aufgestiegener, aber er war so völlig anders als Caladan Bruth, dass es schien, als wären sie die beiden entgegengesetzten Enden des weiten Spektrums der Macht. Rake war eine Atmosphäre, eine Präsenz, die das Herz zum Rasen brachte und Grauen verströmte, die niemand ignorieren – und noch weniger fliehen – konnte. Gewalt, enormes Alter, düsteres Pathos und dunkelstes Entsetzen – der Sohn der Dunkelheit war ein eisiger Wirbel im Strom der Unendlichkeit, und die Mhybe konnte unter ihrer Haut alle Geister der Rhivi spüren, die voller Verzweiflung erwacht waren.
Das Schwert, aber es ist mehr als nur das Schwert. Dragnipur in den Händen kalter Gerechtigkeit, kalter, unmenschlicher Gerechtigkeit. Anomander Rake, der Einzige von uns, dessen Anwesenheit Furcht in Kallors Augen aufschimmern lässt … der Einzige … außer Silberfuchs, wie es scheint. Meine Tochter. Was könnte Kallor mehr fürchten als ein Bündnis zwischen dem Sohn der Dunkelheit und Silberfuchs?
Dieser Gedanke vertrieb jegliche Erschöpfung, und die Mhybe trat vor.
Kallors Stimme dröhnte über die Lichtung. »Anomander Rake! Ich erbitte Euren klarsten Blick – ich erbitte die Gerechtigkeit Eures Schwerts – erlaubt niemandem, Euch mit Gefühlen zu beeinflussen, und das gilt auch für Korlat, die jetzt gleich drängend in Euer Ohr flüstern wird!«
Der Sohn der Dunkelheit drehte sich – eine Augenbraue hochgezogen – langsam zu dem Hochkönig um. »Was glaubst du eigentlich«, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme, »was mein Schwert von deinem schwarzen Herzen fern hält … außer Gefühlen ? «
Im Licht der Morgendämmerung, die sich allmählich über den Himmel stahl, wurde das verwitterte, schmale Gesicht des alten Kriegers merklich blasser. »Ich spreche von einem Kind«, grollte er. »Zweifellos spürt Ihr ihre Macht, die widerwärtigste aller Blüten – «
»Macht? Die ist an diesem Ort im Überfluss vorhanden, Kallor. Das Lager ist zu einem wahren Magneten geworden. Du hast Recht, dich zu fürchten.« Seine Augen wanderten zur Mhybe, die einige Schritte von ihm entfernt stehen geblieben war.
Sie konnte sich nicht bewegen. Sein Blick war wie ein heftiger Druck, war Macht und Drohung, genug, um sie leise keuchen und ihre Knie nachgeben zu lassen.
»Die Kräfte der Natur«, sagte er, »stehen der Gerechtigkeit gleichgültig gegenüber. Würdest du mir da zustimmen, Mutter?«
Sie hatte Mühe, eine Antwort herauszubringen. »Das
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