SdG 04 - Die eisige Zeit
Er griff über die linke Schulter nach Dragnipurs lederumwickeltem Heft.
Caladan Bruth knurrte einen wilden Fluch und löste seinen Hammer aus den Halteschlaufen.
Elster ging in Stellung, hob seine eigene Klinge.
Ihr Götter, nein! Das ist alles falsch …
»Rake«, krächzte Kallor, »wollt Ihr mich zu Eurer Linken oder zur Rechten?«
Das Krachen berstender Zeltstangen ließ alle Anwesenden zusammenzucken. Ein lauter Aufschrei ertönte aus dem Kommandozelt, und dann brach etwas Großes, Ungeschlachtes aus dem Zelteingang und gewann an Höhe. Tanzend und wirbelnd flog der große hölzerne Tisch, den die Mhybe zuletzt vor dem Leichenzelt gesehen hatte, durch die Luft, stieg immer höher über der Lichtung auf. An einem der Tischbeine baumelte Kruppe, und Rhivi-Kuchen regneten von ihm herab. Er schrie erneut auf, strampelte mit den Beinen wild in der Luft. »Ah! Hilfe! Kruppe hasst es zu fliegen!«
Während die Brückenverbrenner die Reste ihrer Ausrüstung zusammensuchten und die im Osten postierten Wachen riefen, dass die Schwarzen Moranth gesichtet worden waren und sich jetzt auf ihren Quorls näherten, schritt Hauptmann Paran, den ein zunehmendes Unbehagen beschlich, durch die Reihen der versammelten Soldaten.
Etwas abseits saß eine erschöpfte Tippa und beobachtete ihn mit einer Miene, die eine merkwürdige Mischung aus Bestürzung und Bewunderung verriet. Daher war sie die Einzige, die sah, wie er einen weiteren Schritt vorwärts machte – und dann einfach verschwand.
Sie sprang auf. »Oh, bei den Eiern des Vermummten! Spindel! Hol den Schnellen Ben!«
Der Magier im Haarhemd, der ein paar Schritte entfernt hockte, blickte auf. »Warum?«
»Irgendjemand hat gerade eben Paran geschnappt – such den Schnellen Ben, verdammt!«
Der Anblick der geschäftigen Soldaten verschwand vor den Augen des Hauptmanns, und nachdem sich eine Art verschwommener Schleier rasch geteilt hatte, fand er sich Anomander Rake und Kallor gegenüber – beide mit gezogenen Waffen –, und hinter ihnen sah er die Mhybe und Korlat, und noch ein Stück dahinter einen Kreis wachsamer Tiste Andiin.
Zahllose Blicke hefteten sich auf ihn, wanderten kurz über seine rechte Schulter hinweg in die Höhe, kehrten dann wieder zu ihm zurück. Niemand rührte sich, und Paran wurde klar, dass er nicht der Einzige war, der einen Schock erlitten hatte.
»Hilfe!«
Der klägliche Schrei ließ den Hauptmann herumwirbeln. Er blickte nach oben. Ein riesiger hölzerner Tisch drehte sich hoch in der Luft lautlos um seine Achse, und von einem der Beine hing Kruppes rundliche, in seidene Gewänder gekleidete Gestalt. Auf der Unterseite des Tischs war in bunten Farben, die jetzt hell leuchteten, das Bild eines Mannes aufgemalt. Da das Gesicht immer wieder kurzfristig außer Sicht geriet, dauerte es ein paar Augenblicke, bis Paran es erkannt. Das bin ja ich …
Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, eine schwarze Woge, die ihn völlig verschlang.
Die Mhybe sah, wie der junge Hauptmann sich zusammenkrümmte und auf die Knie fiel, als tobe in seinem Innern eine überwältigende Agonie.
Ihr Blick huschte wieder zu ihrer Tochter – gerade rechtzeitig, um die wogenden Schlangen aus Macht von Silberfuchs auszüngeln zu sehen; sie wanden sich um die reglosen Gestalten von Bruth und Elster herum und griffen dann weiter aus, nach oben, zum Tisch.
Die vier Tischbeine brachen ab. Mit einem schrillen Schrei stürzte Kruppe dem Erdboden entgegen, landete in einem Durcheinander aus Gliedmaßen und Seidenstoff inmitten einer Gruppe Tiste Andii. Überraschte Schreie und schmerzhaftes Stöhnen folgten. Der Tisch hing jetzt ruhig in der Luft, die Unterseite Rake und Kallor zugewandt, das Bild von Parans Antlitz funkelnd vor Magie. Streifen dieser Zauberei griffen nach unten, um den zusammengekrümmten, knienden Hauptmann in glänzende, silberne Ketten zu hüllen.
»Also«, ertönte eine etwas atemlose Stimme neben ihr, »das ist die größte Drachenkarte, die ich je gesehen habe.«
Sie riss den Blick von dem Tisch und Paran los und starrte aus weit aufgerissenen Augen den geschmeidigen, dunkelhäutigen Magier an, der neben ihr stand. »Schneller Ben …«
Der Brückenverbrenner trat zwei, drei Schritte vor und hob die Arme. »Ich bitte alle Anwesenden um Entschuldigung für die Unterbrechung! Auch wenn es so aussieht, als ob eine Konfrontation von den meisten hier gewünscht würde, möchte ich doch darauf hinweisen, dass es nicht besonders … äh, ja, klug
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