SdG 04 - Die eisige Zeit
wäre, hier und jetzt zu Gewalt zu greifen, wo ganz klar ist, dass die Bedeutung all dessen, was zu geschehen scheint, bis jetzt noch unklar ist. Die Risiken, die ein überstürztes Handeln mit sich brächte, sind … Nun, ich denke, Ihr versteht, was ich meine.«
Anomander Rake starrte den Magier einen Augenblick lang an und schob dann mit einem dünnen Lächeln sein Schwert wieder in die Scheide. »Vorsichtige Worte, aber auch kluge Worte. Wer seid Ihr, mein Herr?«
»Nur ein Soldat, der gekommen ist, um seinen Hauptmann zurückzuholen, Sohn der Dunkelheit.«
In diesem Augenblick tauchte Kruppe aus der murmelnden, zweifellos mit blauen Flecken übersäten Menge auf, die seinen Sturz aufgefangen hatte. Während er sich den Staub von den seidenen Gewändern klopfte, marschierte er anscheinend nichts ahnend in die Mitte der Lichtung, um genau zwischen dem knienden Paran und Anomander Rake stehen zu bleiben. Er schaute auf, blinzelte eulenhaft. »Was für ein unziemlicher Abschluss von Kruppes zweitem Frühstück! Ist das Treffen verlegt worden?«
Hauptmann Paran spürte nichts von der Macht, die in ihn hineinströmte. Im Geiste fiel er … und fiel und fiel … Dann schlug er auf harten, rauen Steinfliesen auf, das Dröhnen seiner Rüstung hallte endlos wider. Der Schmerz war verschwunden. Keuchend und unkontrollierbar zitternd hob er den Kopf.
Im schummrigen Licht einiger Laternen sah er, dass er weit ausgestreckt in einem schmalen Vorzimmer mit niedriger Decke lag. Schwere Doppeltüren unterteilten die merkwürdig ungleichmäßige Wand zu seiner Rechten; links von ihm, gegenüber den Türen, befand sich ein breiter Eingang mit Nischen in den angrenzenden Wänden. Auf allen Seiten wirkte der Stein rau und unbehauen, erinnerte fast schon an Baumrinde. Eine noch schwerere Tür mit einem schwarzen, von Löchern übersäten Bronzeüberzug befand sich am anderen Ende des Raums, vielleicht acht Schritte entfernt. Zwei formlose Bündel lagen auf der inneren Schwelle.
Wo? Was?
Paran mühte sich hoch, benutzte eine Wand, um sich abzustützen. Sein Blick wurde erneut von den beiden Bündeln vor der Bronzetür angezogen. Er torkelte ein paar Schritte darauf zu.
Das eine war ein Mann, der die eng anliegenden Kleider eines Assassinen trug; auf seinem schmalen, glatt rasierten Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck, seine langen schwarzen Zöpfe glänzten noch immer ölig. Eine altmodische Armbrust schien ihm gerade erst aus den Händen gerutscht zu sein.
An seiner Seite lag eine Frau; ihr Umhang war verzogen und verdreht, als hätte der Mann sie über die Schwelle gezogen. Eine hässliche Wunde glänzte feucht auf ihrer Stirn, und nach den blutverschmierten Steinplatten zu schließen, war das nicht die einzige Wunde, die sie davongetragen hatte.
Das sind beides Daru … Moment mal, den Mann habe ich schon gesehen. Auf Simtals Fest … und die Frau auch! Sie ist die Gildenmeisterin …
Rallick Nom und Vorcan, die beide in jener Nacht verschwunden waren, in der das verhängnisvolle Fest stattgefunden hatte. Dann bin ich also in Darujhistan. Ja, so muss es sein.
Silberfuchs’ Worte klangen ihm plötzlich wieder im Ohr, und dieses Mal konnte er ihre Wahrhaftigkeit nicht mehr leugnen. Er machte ein finsteres Gesicht. Der Tisch – die Karte, auf die mein Bild gemalt war. Jen’isand Rul, der Neutrale, der neu zu den Drachenkarten gestoßen ist … dessen Kräfte niemand kennt. Ich bin im Innern eines Schwerts gewandelt. Es scheint jetzt, als könnte ich … überall wandeln.
Und dieser Ort, dieser Ort … Ich bin im Finnesthaus.
Ihr Götter, ich bin in einem Azath-Haus!
Er hörte ein Geräusch, ein Schlurfen, das sich von der anderen Seite der Doppeltür näherte, und drehte sich langsam um, griff dabei nach dem Schwert, das er an der Hüfte trug.
Die hölzernen Türflügel schwangen auf.
Mit einem Zischen trat Paran einen Schritt zurück, sein Schwert glitt aus der Scheide.
An dem Jaghut, der vor ihm stand, war so gut wie kein Fleisch mehr; die Rippen waren gebrochen und standen in alle Richtungen, Hautfetzen und Muskelstränge hingen in grässlichen Streifen von seinen Armen. Sein ausgemergeltes, verwittertes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, bei dem er die Hauer bleckte. »Willkommen«, sagte er mit grollender Stimme. »Ich bin Raest. Wächter, Gefangener, Verdammter. Der Azath grüßt dich, soweit ein schwitzender Stein dazu in der Lage ist. Ich sehe, dass du – im Gegensatz zu den beiden, die da auf der
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