SdG 04 - Die eisige Zeit
menschlich wirken. Aber eigentlich sehen sie eher wie T’lan-Imass-Schädel aus …
Plötzlich stieg Wissen in ihm auf, das er zuvor nicht besessen hatte. Er kannte den Namen dieses Ortes, wusste ihn tief in seinem Innern. Die Feste der Tiere … lange bevor es den Ersten Thron gab … war dies das Herz der Macht der T’lan Imass – ihre geistige Welt, als sie noch aus Fleisch und Blut waren, als sie noch Geister hatten, die angebetet und verehrt werden konnten. Lange bevor sie das Ritual von Teilann begannen … und auf diese Weise ihren eigenen Götterhimmel überlebten …
Eine verlassene Sphäre also. Verschollen für ihre Schöpfer. Aber was ist dann das Teilann-Gewirr, das die T’lan Imass jetzt benutzen? Natürlich, dieses Gewirr muss während des Rituals geschaffen worden sein, ist vielleicht eine Art physikalische Manifestation ihres Schwurs der Unsterblichkeit. Und es hat keinen Bezug zum Leben, noch nicht einmal zum Tod. Es hat nur einen Bezug … zu … Staub.
Er stand einige Zeit völlig reglos da, versuchte, das volle Ausmaß der Tragödie zu begreifen, welche die Bürde der T’lan Imass war.
Meine Güte, sie haben ihre eigenen Götter überdauert. Sie existieren wirklich in einer Welt aus Staub – losgelöst von allen Erinnerungen, ein ewig währendes Dasein … und kein Ende in Sicht. Eine Woge tiefer, herzzerreißender Trauer überschwemmte ihn. Beru hilf … sie sind so allein. So lange schon so schrecklich allein … doch jetzt versammeln sie sich, kommen zu dem Kind und suchen den Segen … und noch etwas anderes …
Paran trat einen Schritt zurück – und stand wieder auf den Steinfliesen. Mit einiger Anstrengung riss er den Blick von der eingravierten Feste der Tiere los – aber warum waren da zwei Throne und nicht nur einer? –, wie die Karte, wie er jetzt wusste, genannt wurde. Eine andere, mit einer Zeichnung versehene Steinfliese ein Dutzend Schritte zu seiner Linken fiel ihm auf. Ein pochender, roter Lichtschimmer durchströmte die Luft direkt darüber.
Er ging zu der Fliese hinüber, schaute hinab.
Das Bild einer schlafenden Frau, von oben gesehen, dominierte die Bodenfliese. Ihr Fleisch schien sich zu drehen und herumzuwirbeln. Paran ging langsam in die Hocke, kniff die Augen zusammen. Ihre Haut war unergründlich und offenbarte mehr und mehr Einzelheiten, als der Blick des Hauptmanns näher herangezogen wurde. Haut, nein, keine Haut. Wälder, weite Flächen von Grundgestein, der brodelnde Grund der Ozeane, Risse im Fleisch der Welt – das ist Brand! Das ist die Schlafende Göttin.
Und dann sah er den Makel, die Verletzung – eine dunkle, eiternde Strieme. Wogen der Übelkeit überschwemmten Paran, doch er konnte nicht wegsehen. Und dort, inmitten der Wunde, eine bucklige, kniende, gebrochene Gestalt. Angekettet. Angekettet an Brands Fleisch. Von der Gestalt strömte Gift an den Ketten entlang in die Schlafende Göttin hinein.
Sie hat gespürt, dass die Krankheit kommen würde, hat die Krallen gespürt, die sie in ihren Körper schlagen würden. Hat es gespürt … und sich entschlossen, zu schlafen. Vor noch nicht einmal zweitausend Jahren hat sie sich entschlossen zu schlafen. Sie hat versucht, dem Gefängnis ihres eigenen Körpers zu entkommen, um mit jenem zu kämpfen, der diesen Körper allmählich tötet. Sie – oh, ihr Götter dort droben und hienieden! Sie hat sich zu einer Waffe gemacht! Hat ihre ganze Lebenskraft, ihre ganze Macht genommen und daraus eine einzige Waffe geschmiedet … einen Hammer … einen Hammer, der dazu in der Lage ist … alles, wirklich alles zu zerschmettern. Und dann hat Brand einen Mann gesucht und gefunden, der ihn schwingen sollte …
Caladan Bruth.
Aber die Ketten zu zerschmettern würde bedeuten, den Verkrüppelten Gott zu befreien. Und ein Verkrüppelter Gott, der nicht mehr in Banden lag, bedeutete, dass seine Rache entfesselt würde – eine Woge, die ausreichen würde, alles Leben von der Oberfläche dieser Welt zu tilgen. Doch das war Brand, der Schlafenden Göttin, gleichgültig. Sie würde einfach aufs Neue beginnen.
Und jetzt sah er es plötzlich, jetzt konnte er die Wahrheit erkennen – er weigert sich! Der Bastard weigert sich! Er will nicht zulassen, dass der Verkrüppelte Gott seinen tödlichen Willen entfesselt und uns dadurch alle vernichtet. Caladan Bruth verweigert Brand den Gehorsam!
Keuchend riss Paran sich von dem Anblick los, stemmte sich hoch, stolperte rückwärts – und war wieder an Raests
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